Predigt von Pfarrerin Petra Fuhrhans zum Gottesdienst am Karfreitag 2020

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte
und ein Licht auf unseren Wegen. Amen.


Hier gibt es die Liturgie zum Nachlesen.


Liebe lesende Gemeinde, wir lesen den Predigttext für den heutigen Gottesdienst:

Predigttext: 2. Kor 5, 14-21

14 Denn die Liebe Christi drängt uns, zumal wir überzeugt sind, dass, wenn einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben. 15 Und er ist darum für alle gestorben, damit, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. 16 Darum kennen wir von nun an niemanden mehr nach dem Fleisch; und auch wenn wir Christus gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch jetzt so nicht mehr. 17 Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. 18 Aber das alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. 19 Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.  20 So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! 21 Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

Große Worte sind das, liebe Gemeinde am Karfreitag,

aber es sind Worte, denen alle unmittelbare Anschaulichkeit fehlt. Von Gott und Christus, von uns und der Welt sprechen sie. Und von Sünde, Versöhnung und Gerechtigkeit. Ohne Umschweife führt uns der Apostel Paulus in Dimensionen, die hinter dem blutigen Geschehen auf Golgatha liegen.

Das ist ungewohnt für uns. Wir blicken eher auf das Kreuz, sehen Jesus leiden und sterben – sehen die Kreuzigung, die Verlosung des Gewandes, hören die Verspottung durch die Gaffer und den Schrei Jesu: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Das macht uns den Karfreitag in all seiner Grausamkeit anschaulich.

Aber trotz allem, was wir sehen, und trotz aller Gefühle, die uns bewegen, stellt sich damit kein Sinn ein. Jesu Kreuzigung und Tod müssen – für sich betrachtet – sinnlos erscheinen. Je mehr die Distanz zunimmt, umso stärker wird dieser Eindruck. Denn vordergründig ist nur die schreckliche Hinrichtung eines Menschen zu erleben. Für die Römer war das ein Fall unter vielen – nichts Besonderes und deshalb auch keines Aufhebens wert. Auf diese Weise wurde im römischen Reich tausende Male getötet und gestorben! Das war an der Tagesordnung einer Weltmacht. Ein beliebiger Tod unter vielen spielt sich hier ab: gewalttätig und erbarmungslos, aber – so zynisch das auch klingen mag – denn doch nicht außergewöhnlich. Er weckt unser Mitgefühl, gewiss. Aber mehr nicht.

Deshalb drängten sich denen, die Jesus nachgefolgt waren, die Fragen auf, die nicht nur den Weg Jesu, sondern letztlich ihr eigenes Leben betrafen: Was hat es mit Jesu Tod auf sich? Ist alles aus und vorbei? Ist das Kreuz der unwiderlegbare Beweis für das Scheitern Jesu? Oder liegt darin ein Sinn, der sich dem bloßen Zuschauen entzieht, der aber entdeckt und geglaubt werden kann?

Diese Fragen sind geblieben. Sie haben sich im Lauf der Jahrhunderte nicht geändert.  Macht Karfreitag Sinn? Für die meisten Menschen nicht. Vielleicht verstehen sie Weihnachten, vielleicht sogar Ostern oder Pfingsten, aber Karfreitag?

Es war der Apostel Paulus, der wie kaum ein anderer darauf bestand, für sich und die christliche Gemeinde zur Klarheit zu kommen. Er selbst war ja kein Augenzeuge jener Kreuzigung und war Jesus auch sonst nie begegnet. Alles, was er über ihn erfahren hatte, wusste er nur vom Hörensagen. Andere Christen hatten es ihm berichtet. Darin ist er uns sehr ähnlich – und wir ihm. Und ausgerechnet er verlässt die anschaulichen Bilder von Jesu Kreuzigung und versucht tiefer zu blicken.

Er entdeckt Sinn: Denn er bringt das Kreuz Jesu nicht mit den Tätern von damals, sondern mit Gott zusammen. Er scheut nicht sich, Gott selbst hineinzuziehen in den Schrecken des Todes Jesu. Dadurch öffnen sich ganz andere Perspektiven. Jetzt kommt zum Ziel, was einst mit Weihnachten begann: Gott wird Mensch, wird Mensch bis zum Äußersten, bis zum Tod.

Wenn das stimmt, dann ist daran nichts mehr beliebig, zufällig oder verwechselbar. Sondern dann vollendet sich in Jesu Tod Gottes Liebe zu seiner Welt. In einen unendlich weiten Horizont zeichnet Paulus den Karfreitag ein. Und er findet dafür ein Wort, das uns selbst unmittelbar betrifft: Im Kreuz Jesu geschieht Versöhnung mit Gott.

Gott ist es, der die tiefe Trennung zu uns Menschen nicht aushält. Er macht sich von sich aus zu uns auf. Und kein Weg ist ihm zu weit. Er lässt sich nicht beirren von den Widerständen, von Abweisung und Hausverbot in der Welt. Das wollte Jesus mit seinem Leben bezeugen. Aber Gott nimmt die Ablehnung ihm gegenüber ernst. Er tut nicht so, als sei völlig belanglos, wie wir zu ihm stehen. Seine Liebe und Sehnsucht nach uns Menschen sind ihm ernst, sonst wären es keine Liebe und keine Sehnsucht. Darum kosten sie ihn viel, kosten ihn alles, was er hat: kosten ihn den Tod Jesu. Der wird spüren, wohin die Gottesferne führt – aber nur er, damit uns diese äußerste Erfahrung erspart bleibt. Einer stirbt für alle. Was uns von Gott trennt, ist dadurch überwunden, hat seine Macht verwirkt und seine zwingende Kraft verloren. Gott und wir Menschen können einander wieder begegnen. In Jesu Kreuz finden wir zusammen. Das ist Versöhnung. Und deshalb, liebe lesende Gemeinde, gibt es den Karfreitag!

Das schreckliche Ereignis der Kreuzigung verkehrt sich ins Gegenteil. Geht das? Geht es an, Jesu Tod zur Tat Gottes zu erklären und von scheinbarer Sinnlosigkeit zu vermeintlichem Sinn zu wechseln? Unumwunden würde Paulus zugeben: Die Predigt vom Kreuz ist eher eine Torheit, als dass sie uns einleuchtet. Es ist und bleibt alles andere als selbstverständlich, dass Gott in Christus zu uns kommen könnte, um uns zu versöhnen und von Schuld zu befreien. Und dennoch müsste Paulus uns wohl antworten: Ja, es ist möglich, das Kreuz als Zeichen dafür zu entdecken, dass wir leben dürfen, weil Gott uns mit sich versöhnt.

Das braucht allerdings Ehrlichkeit im Umgang mit uns selbst und den Glauben an Gottes starke Liebe, die weiterreicht, als nur dorthin, wo wir das Ende sehen. Manchmal gibt es Augenblicke, in denen wir uns verletzlich, ängstlich, ohnmächtig und weitab von Gott erleben und wo uns nichts bleibt, als gegen allen Augenschein um Gottes Zuwendung und Liebe zu bitten. Und es gibt ebenso die unbedingte Erfahrung, dass unser Leben zurechtgebracht und geheilt wird, weil wir mit Gott und mit uns selbst versöhnt sind. Da sind wir dem Karfreitag ganz nah.

Es ist dann heute kein düsterer Tag voller Ratlosigkeit. Der Grundklang darf fröhlich wechseln. Karfreitag wird zum großen, alles umfassenden Versöhnungstag, der die Vorzeichen unserer Welt ändert und zusammenführt, was getrennt war: Gott und uns Menschen. Das lässt sich erleben: in diesem Gottesdienst schon, wenn wir mit dem, was uns belastet, beschwert und umtreibt, vor Gott kommen und das Wort der Versöhnung hören, das uns zu einem neuen, befreiten Leben mitten in aller Angst ermutigt. Dann verlieren die Einwände, die aus dem bloßen Augenschein des Kreuzes herrühren, ihr Gewicht. Die Erfahrung ist allemal stärker: Gott kehrt die Verhältnisse um. Er kommt uns nahe. Wir sind versöhnt.

Das hat Folgen, liebe lesende Gemeinde. Wie sollten wir gegenüber uns selbst und anderen Menschen unversöhnlich bleiben, wo uns selbst Gottes Liebe nahegekommen ist! Es wäre ein Widerspruch in sich selbst und würde in Frage stellen, was uns geschenkt ist. Versöhnung will nicht nur erfahren, sondern geglaubt und auch gelebt werden: indem wir uns als Erlöste, denen zuwenden, die wir abgeschrieben und über die wir den Stab gebrochen haben, mit denen wir längst fertig waren und denen wir nur noch mit Kälte oder Verachtung begegnen. Sage niemand, die gäbe es in unserem Leben nicht. Die Versöhnung, die Gott uns in Christus schenkt, deckt nicht einfach alles zu, sondern sie deckt die dunklen Seiten auf. Deshalb ist sie anstrengend und kann uns schmerzen. Aber Gott hat es sich ja auch nicht leichtgemacht. Er ist uns weit entgegengekommen, weiter und widersinniger, als man von ihm denken konnte. Sollte unser Entgegenkommen anderen gegenüber da vorschnell Grenzen ziehen?

Versöhnung wird praktisch. Das große Wort lässt sich mitten in unsere persönliche Wirklichkeit hinein buchstabieren, aber auch in die Welt der Politik und Wirtschaft wie in die Welt der Kulturen. Wir gewinnen Mut und Ausdauer, uns für die Versöhnung zwischen Menschen einzusetzen und zwar im Kleinen wie im Großen. Das Kreuz Jesu, um das bei uns oft gestritten wird, ist dann gerade kein Symbol der Gewalt, sondern ein bleibendes und mahnendes Zeichen für Frieden und Versöhnung.

An Karfreitag geht es um uns und um die Möglichkeit, wie wir leben können – versöhnt mit Gott und den Menschen. Es geht um den Sinn, um die Bestimmung unseres Lebens. Für uns ist mehr da, als wir erwarten dürften und was unser Augenschein zur Kenntnis nimmt. Wir dürfen uns gefallen lassen, was Gott für uns getan hat: „Lasst euch versöhnen mit Gott.“ Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.