Ansprache in der Osternacht 2020 von Pfarrerin Petra Fuhrhans

Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?


Hier gibt es den Gottesdienst zum Nachlesen.


Liebe Gemeinde, liebe Leserinnen und Leser,

was ist eigentlich Ostern? Ein paar freie Tage, ein Fest mit gutem Essen, Eiern und viel Schokolade, mit Oldies im Radio und einem besonderen Fernsehprogramm, vielleicht noch mit einem Spaziergang oder Verwandtenbesuchen, einer schönen Reise und von Jahr zu Jahr mehr Geschenke. Okay, Verwandtenbesuche und Reise müssen wir in diesem Jahr ohnehin streichen und mit den Geschenken wird es auch schwierig. Was bleibt dann also noch?

Ich fürchte, der eigentliche Sinn von Ostern bleibt vielen vor uns fremd. Manche lachen über uns Christen: Ostern, Auferstehung, Jesus? Wer glaubt denn an so etwas? Neues Leben rings um uns, Frühling, Aufbrechen der Natur; das schon eher. Ostern scheint nicht in unsere Welt zu passen; weder in die heile Welt, die sich manche erträumen und in der alles machbar ist, noch in die gefährdete Welt, wie wir sie im Moment erleben. Unser Leben ist gefährdet. Was sollte Ostern daran ändern? Ostern passt nicht zu dem, was wir in der Krise tagtäglich erleben.

Im Moment ist es dunkel um uns und in uns. Noch sind wir gefangen in unserer Nacht, bringen unsere Trauer über zerstörtes Leben – eigenes und fremdes – mit in diesen neuen Tag wie die Frauen am Ostermorgen. Wir kennen diese Wege, auf denen alles verloren scheint und nur noch letzte Liebesdienste unseren Schmerz ausdrücken können. Auch die wohlriechenden Öle der Frauen können den Geruch der Verwesung nicht aufhalten. Gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen, das Böse scheint sich durchzusetzen.

Die Frauen haben gesehen wie der Leichnam Jesu vom Kreuz genommen wurde. Ihre Augen sind leergeweint, ihre Herzen schwer vor Kummer. Sie wollen ihrem Herrn noch einmal ihre Liebe bezeugen. Die Sehnsucht drängt sie am frühen Morgen aufzubrechen.

Sie finden den Stein weggewälzt, der ihre Hoffnungen begrub. Sie gehen hinein ins leere Grab und finden nicht, was sie suchen. Ihre Liebe scheint ins Leere zu laufen.

Soweit hätten sie sich nicht einlassen dürfen! So sehr hätten sie sich nicht engagieren dürfen! So nah kann man das Unglück nicht an sich heranlassen! Das hören wir, wenn wir zu tief ins Grab gehen. „Lass die Dinge laufen! Du änderst ja doch nichts.“ Das hören wir. „Du leidest zu viel! Keiner lohnt dir diesen Einsatz. So spricht kein Engel. So sprechen die, die sich heraushalten aus dem Elend menschlichen Lebens, die nicht mit dem Tod in Berührung kommen wollen, die Ostern für ein Märchen halten.

Aber tief im Grab hören die Frauen eine andere Stimme. Sie sagt nicht: „Eure Sehnsucht ist vergeblich. Was sucht ihr Liebe an diesem toten Ort?“ Sie gibt nicht die eigenen Zweifel wieder. Die Stimme, die sie anspricht, sagt: „Ihr sucht am falschen Ort.“ Alles gerät ins Wanken. „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“

„Wenn jemand tot ist, hört die Liebe doch nicht auf, ihr sucht doch den, der in eurer Liebe lebendig ist. „Gedenkt“, sagte der Engel und erinnerte sie an die Worte, die sie gehört haben, als sie der Liebe noch trauten. Damals hatten sie es nicht verstanden: „Am dritten Tage auferstehen“. Aber jetzt kam Glanz in ihr Leben, sie ahnten, dass alles Grauen, auch der finsterste Karfreitag, nur bis zum dritten Tag dauert.

Gott selbst kommt den suchenden Frauen entgegen, begrenzt ihr Elend. Sie hätten es wissen können, aber sie brauchten eine äußere Stimme, die das Wissen tief in ihrer Seele weckte. „Gedenkt…“, sagt der Engel auch zu uns in der Tiefe unserer Gräber, unseres Elends, unserer Isolation, unserer Einsamkeit, unserer Verzweiflung.

Das braucht unser Glaube, dass einer sagt: „Gedenkt, was ihr von der Liebe wisst. Sie wird gekreuzigt, mit Füssen getreten, verspottet, aber sie trägt den Keim unzerstörbaren Lebens.“

„Gedenkt…“ und sie gedachten, die Frauen. Der Osterengel hatte sie berührt. Der Engel der Erinnerung. Das hätten sie sich nicht selbst sagen können.

So lassen sie das Grab hinter sich, tragen ihre Liebe zurück ins Leben, zu den Jüngern, mit denen sie die gemeinsame Trauer verbindet. Aber sie können sich nicht verständlich machen, die Jünger halten alles für Geschwätz, sind eingeschlossen in ihrer Angst, unglücklich über sich selbst, ihren Verrat, ihre Flucht, ihre verlorene Hoffnung. Was die Frauen erzählen, hilft ihnen nicht.

Sie wollen sich nicht erinnern lassen.

Nur Petrus läuft zum Grab, bückt sich hinein und sieht nichts. Er will auch nichts sehen, weil seine Angst noch zu groß ist. Viel zu schnell wollte er die tödlichen Erfahrungen abschütteln. Ein flüchtiger Blick ins Grab reicht nicht um einem Engel zu begegnen. So wird er nicht erinnert, schleicht um das Grab herum und fürchtet und sucht zugleich die Nähe Jesu.

Die Jünger müssen ihre eigenen Glaubenserfahrungen machen. Die Begegnung mit den Frauen reicht dazu nicht aus. Sie müssen auf den Weg nach Emmaus, ihrem Fluchtinstinkt nachgeben. Erst dort begegnen sie ihm, erst dort lassen sie sich erinnern.

Auch wir müssen unsere eigenen Glaubenserfahrungen machen um Ostern zu verstehen, die der anderen reichen da nicht aus. Auch wir müssen uns immer wieder erinnern lassen an das, was Jesus gelehrt hat und was wir von ihm gehört und erfahren haben.

Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Diese Frage stellt alles auf den Kopf. Jesus lebt, und er ist in unserem Leben zu finden. Er befreit uns von allem, was uns am Leben hindert: Angst, Schuld, Versagen, Leid, Elend, Tod, Selbstüberschätzung und er macht den Blick wieder frei auf das Leben.

So gesehen wird Ostern alles neu, weil sich der Blickwinkel auf das Leben ändert. „Wenn auch das Leid, das ihr tragt, groß ist, geht nicht darin unter, sondern denkt an Jesus, der euch das Leben schenken will. Ihr werdet auferstehen wie er auferstanden ist, euer Leid wird ein Ende haben, so wie sein Leid ein Ende hatte.“

„Gedenkt an Jesu Worte!“ und vergesst sie nie. Ostern wendet unseren Blick vom Tod zum Leben, vom Leid zu Freude, von der Trauer zum Lachen.

Wir müssen im Tode nicht stehenbleiben. Wir dürfen leben!!! Mit Jesus! Jetzt und allezeit! Das ist Ostern.

Gebe Gott, dass wir das auch erkennen. Amen