Ansprache in der Osternacht zur Osterkerze 2023

„Das Bild ist so: Kind und Mutterkopf zueinandergeneigt, von einem großen Tuch umschlossen, Geborgenheit und Umschließung von Mutter und Kind. Mir kamen die johanneischen Worte: Licht, Leben, Liebe. Was soll ich dazu noch sagen? Wenn man unsere Lage bedenkt, in der Dunkelheit, Tod und Hass umgehen – und unsere Sehnsucht nach Licht, Leben, Liebe, die so unendlich groß ist in jedem von uns!“ (Zitiert nach Wikipedia, Artikel: Madonna von Stalingrad).

Mit diesen Worten, liebe Gemeinde, hat Kurt Reuber in einem Brief an seine Frau die sogenannte Madonna von Stalingrad beschrieben. Kurt Reuber, ein Pfarrer und Arzt aus Kassel, hat diese Madonnenfigur 1942 im Kessel von Stalingrad während des zweiten Weltkrieges auf die Rückseite einer russischen Landkarte gezeichnet. Mit dem letzten möglichen Flieger gelangte die Zeichnung hierher, zurück nach Nordhessen.

Vielleicht haben Sie dieses Bild schon einmal gesehen: Die Frau mit ihrem Kind, umhüllt von einem schützenden Mantel, ein Bild in der Tat voller Licht und Liebe und Leben, das für sich steht und stehen bleibt, auch wenn um es herum das Chaos und das Leid herrschen.

Monika Reissig, die für unsere Kirchengemeinde seit vielen Jahren die Osterkerzen wunderbar gestaltet, hat für das Osterfest 2023 dieses Motiv gewählt: Die Madonna von Stalingrad.

Wieviele Assoziationen und Gedanken kommen bei dieser Geschichte und diesem Bild heute in uns auf? In dieser Osternacht?

Zunächst einmal dunkle Gedanken, denn:

Ich denke natürlich an den Angriffskrieg Nazi-Deutschlands gegen Russland, den ich nur von meinem Großvater und Geschichtsbüchern kenne.

Ich denke unweigerlich auch an den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Kriege sind nie vergleichbar. Jeder Krieg ist unvergleichlich in seinem Elend, seinen falschen Motiven, seiner Gewalt, die nichts hervorbringt als neue Gewalt und Menschen für ein ganzes Leben zeichnet.

Ich denke an die Menschen in Gaza und Palästina, an die Menschen in Israel, in Taiwan, an die Uiguren, an Menschen, die aufgrund der Klimakrise ihre Heimat verlieren, die nichts weiter tun können als vor der Armut ihres Landes zu fliehen, an die Menschen in Afghanistan, an die Opfer des Erdbebens in der Türkei und in Syrien. Wieviel mehr an Leid kommt uns in den Sinn, wenn wir die Dunkelheit um Maria mit ihrem Kind, gezeichnet im Krieg, bedenken?

Der Prophet Jesaja schreibt schon vor fast 3000 Jahren in einer ähnlich dunklen Sicht auf die Welt seine Verzweiflung, aber auch seine Klage gegen Gott nieder: 

„Herr, unser Gott, es herrschen wohl andere Herren über uns als du, aber wir gedenken doch allein deiner und deines Namens. 14Tote werden nicht lebendig, Schatten stehen nicht auf; denn du hast sie heimgesucht und vertilgt und jedes Gedenken an sie zunichtegemacht.“

Bei Jesaja sind es nicht nur die Herren der Welt, die gegen das Leben herrschen, die drohend um die Menschen aufgestellt sind, sondern auch Gott.

Am Ostermorgen richten wir aber unseren Blick nicht allein auf das Dunkel, sondern auf unsere Sehnsucht nach Licht, Leben und Liebe, die so unendlich groß ist in jedem von uns.

In der noch ganz dunklen Kirche haben wir bei den Lesungen Lichtblicke aus unserer Welt gehört. In letzter Zeit habe ich davon vieles gesehen: Initiativen, die gute Nachrichten sammeln, ein kleines Buch mit dem Titel: 365 gute Nachrichten für das ganze Jahr, Podcasts, die jeweils ein Problem benennen und mindestens zwei vielverprechende Lösungen.

Die gute Nachricht, das Evangelium steht im Zentrum des Ostermorgens und sie lautet: Bei Gott gibt es Licht, Leben und Liebe, und in uns gibt es Licht, Leben und Liebe. Obwohl bei der Madonna aus Stalingrad das viele Dunkle mitgedacht wird, ist zu sehen eigentlich nur Maria mit ihrem Kind: Ein Bild der Hoffnung und der Kraft, ein Bild des Friedens und der Liebe, ein Grund sich einzusetzen für diese Welt und für unsere Nächsten.

Wir können das auch leben! Wir tragen Licht, Leben und Liebe in uns, neben und unter aller Verstrickung vor allem Licht, Leben und Liebe. Gerade weil wir zuweilen meinen, dass die Dunkelheit der Welt erdrückend ist, erinnert uns Ostern an den von Gott geschenkten Neuanfang, den Morgen eines neuen Tages, der kraftvoll sich Bahn bricht in jeder Liebe, die wir leben, in jedem Licht, das wir schenken, in jedem Leben, das wir sehen.

Ob uns das geling? Gott hat es versprochen, dass es gelingt, sogar über das Leben hinaus, wie Jesaja dann auch schreibt:

„Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen. Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau, und die Erde wird die Schatten herausgeben.“

Ostern ist die Kraft des Lebens gegen den Tod,

Ostern ist die Kraft der Liebe, die Hass überwindet,

Ostern ist die Kraft des Lichtes, das die Dunkelheit vertreibt.

Amen

Pfr. Till Jansen