Gottesdienst vom 09. Januar 2022 zum Hören und Lesen

Hier können Sie den Gottesdienst mit Vikar Rudolf Heiligenthal, Pfr. Till Jansen und Kantor Juergen Bonn aus der Markuskirche anhören:

Eingangsliturgie
Predigt
Ausgangsliturgie
Tauferinnerung

Hier können Sie die Predigt von Vikar Rudolf Heiligenthal nachlesen:

Predigttext aus Jesaja 42, 1-9

[1] Seht, das ist mein Knecht, zu dem ich stehe. Ihn habe ich erwählt, und ihm gilt meine Zuneigung. Ich habe ihm meinen Geist gegeben Er sorgt bei den Völkern für Recht.

[2] Er schreit nicht und ruft nicht laut.  Seine Stimme schallt nicht durch die Straßen. [3] Ein geknicktes Schilfrohr zerbricht er nicht. Einen glimmenden Docht löscht er nicht aus. Er bleibt seinem Auftrag treu und sorgt für Recht. [4] Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen, bis er auf der Erde das Recht durchgesetzt hat. Sogar die fernen Inseln warten auf seine Weisung. [5] Gott, der Herr, ist es, der den Himmel geschaffen hat und ihn ausspannt wie ein Zelt. Er breitet die Erde aus und lässt Pflanzen auf ihr wachsen. Er gibt den Menschen auf der Erde Atem und Lebensgeist denen, die auf ihr wohnen.[6] Er spricht: Ich, der Herr, bin dir treu. Ich habe dich gerufen, ich nehme dich bei der Hand und beschütze dich. Durch dich zeige ich meine Verbundenheit mit den Menschen. Ich mache dich zum Licht für die Völker. [7] Du wirst Blinden die Augen öffnen und Gefangene aus dem Kerker holen. Die im Dunkeln sitzen, befreist du aus der Haft. [8] Ich bin der Herr, das ist mein Name. Meine Ehre lasse ich mir von niemandem nehmen. Das Lob, das mir zusteht,

überlasse ich nicht den Götzenbildern. [9] Was ich früher vorhergesagt habe, ist eingetroffen. Jetzt kündige ich Neues an. Noch ehe es zum Vorschein kommt, lasse ich es euch wissen.

PREDIGT zum 1. Sonntag nach Epiphanias

von Vikar Rudolf Heiligenthal

Mit biblischen Texten ist es manchmal etwas verdreht. Mit den alttestamentlichen erst recht. Die Bücher, aus denen sie stammen, heißen oft wie ihre Verfasser – gerade die Propheten-Bücher, aber auch Josua oder die Bücher Mose 1 bis 5 – dem ist aber natürlich nicht so. 

Diese Erkenntnis, dass zugeschriebene Autorenschaft und tatsächliche Autorenschaft keineswegs übereinstimmt, ist auch schon ein paar hundert Jahre alt. Sie setzte sich spätestens im Zuge der Aufklärung durch. So kam man auch schnell zu der These, dass das ganze lange Buch Jesaja unmöglich aus der Feder eines einzigen Mannes stammen konnte. Man untersuchte es und kam auf mindestens drei Autoren. Diese nannte man Proto-, Deutero- und Trito-Jesaja. In verschiedenen Zeiten, unter verschiedenen Umständen, schrieben unterschiedliche Menschen diese groben drei Teile unseres heutigen Jesaja-Buches auf. Außerdem wurden auch immer wieder kleinere Teile hinzugefügt, zum Beispiel um schwierige Passagen verständlicher zu machen.

Der ursprüngliche Prophet Jesaja lebte im achten Jahrhundert vor Christus. Das assyrische Großreich belagert Jerusalem. Die Zeit, in die der sogenannte Deutero-Jesaja spricht, setzt jedoch die aufkommende Perserherrschaft und die Zeit des babylonischen Exils voraus. Der Tempel in Jerusalem ist zerstört. Das Volk Israel sitzt an den Flüssen von Babylon und schreit zu Gott über sein hartes Schicksal, weit entfernt von Jerusalem. 

Wir haben noch Psalm 43 im Ohr:

„Gott, schaffe mir Recht und führe meine Sache wider das unheilige Volk und errette mich von den falschen und bösen Leuten! Warum hast du mich verstoßen? Warum muss ich so traurig gehen? Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten und bringen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung, Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“

Eine ähnliche Stimmung nehmen die Texte Deutero-Jesajas auf. In diese Situation spricht er von Heimkehr, Recht und Gerechtigkeit und seinem Knecht, der seinen Willen umsetzt. Unser Predigttext wird deshalb auch Gottesknechtlied genannt. Er ist das erste von vier Liedern in diesem Stil, die Deuter-Jesaja überliefert.

Wer ist dieser Knecht, dieser Auserwählte? Ich übertreibe nicht, wenn ich Ihnen sage, dass Menschen seit Jahrtausenden über diese Frage nachdenken.

Es bleibt rätselhaft, bei wem es sich um den besagten Knecht handeln könnte. Ist es eine Person? Vielleicht ein König oder ein Prophet? Ist es eine Person aus der Vergangenheit wie Mose? Oder eine Person, die in der Zukunft auftritt? Könnte es auch ein Kollektiv wie das Volk Israel sein? Und auch hier: Eine ideale Größe in der Vergangenheit? Das zukünftige, gewandelte Gottesvolk, welches den Zorn seines Gottes nicht mehr auf sich zieht?

Er, der Knecht, – der hebräische Text denkt wie so oft in männlichen Kategorien – ist der Auswählte, the chosen one. Gottes Geist liegt auf ihm und er handelt recht.

Unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Dinge in diese Texte hineininterpretiert. Mit der ursprünglichen Aussage des ersten Gottesknechtsliedes konnten die Menschen einige Generationen später vielleicht schon gar nichts mehr anfangen. Ihre historische Wirklichkeit bot keinerlei Anknüpfungspunkt mehr für diese ursprüngliche Art der Prophetie. Aber wenn der Text nur eine kleine Umdeutung erfährt, wird er wieder aussagefähig…

Wer ist ein Auserwählter? Ein Auserwählter Gottes? Wer hat besondere Begabungen? Einen besonderen Geist, quasi-göttliche Fähigkeiten?

Wer spricht Recht? Wer sorgt für Recht und kann mir Recht verschaffen? Wer erlässt Gesetze oder hebt sie auf? Wer hat immer recht?

Auf wen wird gehört, auch wenn er gar nicht immer da ist? Wessen Autorität gilt über alle, wo sein Herrschaftsbereich ist? Wessen Wort spricht durch seine untergebenen Ämter bis hinab zum Letzten in seinem Reich?

Ein König! Aber was für einer! Er bricht nicht das verdorbenen und minderwertige Rohr ab, sondern misst ihm noch einen Wert bei. Er löscht das Vergehende nicht aus, sondern gibt ihm neue Kraft. Er ist ein Visionär, ein Idealist. Für die ganze Welt ist er da.

Der mächtige Perserkönig Kyros erobert Babylon. Nach biblischem Zeugnis endet mit ihm die Exilszeit des jüdischen Volkes. Die Heimkehr steht an! Die Bücher Esra und Nehemia erzählen davon. Und die Gottesknechtslieder erfahren auf einmal eine ganz eindeutige Deutung: Kyros ist der Knecht Gottes, der seinem Volk Recht verschafft. Er ist das Werkzeug, dass Gottes Allmacht auf dieser Welt erweist.

Der zweite Teil des Textes ist eine spätere Hinzufügung. Sie dient der Deutung des ersten Abschnitts. Der Knecht wird aus der damaligen historischen Situation heraus als der Perserkönig Kyros der Große gedeutet. Kyros erlaubte den exilierten Juden im babylonischen Reich die Rückkehr in ihre Heimat. Auch durften sie ihren Tempel wiederaufbauen. Das mehrfach überlieferte Kyros-Edikt berichtet davon. Kyros erfuhr deshalb aus Sicht der Juden eine Deutung zum Werkzeug Gottes, der seinem Volk Gutes zukommen lässt.

Für uns Christen ist die Sache selbstverständlich klar. „Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird“, heißt es im vierten Gottesknechtlied.

Für die frühen Christen löste sich das Rätsel um den verheißenen Gottesknecht des Jesaja-Buches mit dem Leben und Sterben Jesu Christi.

Er ist der Knecht, ist der Auswählte. Gottes Geist liegt auf ihm und er handelt recht. Er sammelt die Menschen um sich – gerade die schadhaften und geknickten und überantwortet sie nicht dem Feuer. Er heilt und gibt den Menschen neue Kraft wie Öl, dass man in leere Öllampen füllt, deren Docht fast erloschen ist.

Götterkönige der Antike wie Kyros oder auch die Könige des Mittelalters, die ihre Macht von Gottes Gnaden erhalten haben: Sie zeichnen sich aus durch die Macht, die ihnen ihr Gott scheinbar verliehen hat. Ihre weltlichen Taten sind Erweis der Macht ihrer Götter, in deren Vollmacht sie handeln.

Der christliche Gott schlägt für seinen auserwählten Helden andere Töne an. Sein Rufen ist nicht mehr zu hören, aber es wirkt doch weiter: In uns. Wir sind in Christi Leben, Sterben und Auferstehung getauft. Wie Gottes Geist in der Taufe auf ihn niederkam, kommt er in der Taufe auch auf uns. Wir Getauften sind von Gott bei unserem Namen gerufen: „Das ist mein liebes Kind. An ihm habe ich Wohlgefallen.“ Und wir sind verantwortlich vor unseres Gleichen für Gottes Recht einzutreten. Wir können Recht schaffen. Und wo wahrhaft Recht geschaffen wird, wo Gerechtigkeit ist, da kann Versöhnung stattfinden. 

„Er bleibt seinem Auftrag treu und sorgt für Versöhnung. Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen, bis er auf der Erde Versöhnung durchgesetzt hat.“

Dafür dürfen wir Gott loben in jedem Gottesdienst.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.