Gottesdienst vom 16. Januar 2022 zum Lesen und Hören

Hier können Sie den Gottesdienst mit Pfr. Till Jansen und Organist Oliver Vogeltanz aus der Markuskirche anhören:

Eingangsliturgie
Predigt mit den Liedern EG 398 „In dir ist Freude in allem Leide“ und +EG 144 „Dich rühmt der Morgen“
Ausgangsliturgie

Texte und Predigt zum 2. Sonntag nach Epiphanias:

Schriftlesung aus dem Buch der Sprüche, Kapitel 8 

Einladung und Verheißung der Weisheit

1 Ruft nicht die Weisheit, und lässt nicht die Klugheit sich hören? 2 Öffentlich am Wege steht sie und an der Kreuzung der Straßen; 3 an den Toren am Ausgang der Stadt und am Eingang der Pforte ruft sie: 4 O ihr Männer, euch rufe ich und erhebe meine Stimme zu den Menschenkindern! 5 Merkt, ihr Unverständigen, auf Klugheit, und ihr Toren, nehmt Verstand an! 6 Hört, denn ich rede, was edel ist, und meine Lippen sprechen, was recht ist. 7 Denn mein Mund redet die Wahrheit, und meine Lippen hassen, was gottlos ist. 8 Alle Reden meines Mundes sind gerecht, es ist nichts Verkehrtes noch Falsches darin. 

9 Sie sind alle recht für die Verständigen und richtig denen, die Erkenntnis gefunden haben. 10 Nehmt meine Zucht an lieber als Silber und achtet Erkenntnis höher als kostbares Gold. 11 Denn Weisheit ist besser als Perlen, und alles, was man wünschen mag, kann ihr nicht gleichen. 12 Ich, die Weisheit, wohne bei der Klugheit und finde Einsicht und guten Rat. 13 Die Furcht des HERRN hasst das Arge; Hoffart und Hochmut, bösem Wandel und verkehrter Rede bin ich feind. 14 Mein ist beides, Rat und Tat, ich habe Verstand und Macht. 15 Durch mich regieren die Könige und setzen die Ratsherren das Recht. 16 Durch mich herrschen die Fürsten und die Edlen richten auf Erden. 17 Ich liebe, die mich lieben, und die mich suchen, finden mich. 18 Reichtum und Ehre ist bei mir, bleibendes Gut und Gerechtigkeit. 19 Meine Frucht ist besser als Gold und feines Gold, und mein Ertrag besser als erlesenes Silber. 20 Ich wandle auf dem Wege der Gerechtigkeit, mitten auf der Straße des Rechts, 21 dass ich versorge mit Besitz, die mich lieben, und ihre Schatzkammern fülle.

Gottes Wort sei unserer Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege Halleluja. 

Predigt zum 2. Sonntag nach Epiphanias von Pfr. Till Jansen

Der Philipperhymnus besingt Christus als den Namen, der über alle Namen ist. 

Die Weisheit ruft uns, ihr zu folgen, zu Erkenntnis, Gotteslob und Erfüllung. 

Und nun begegnen uns im heutigen Predigttext Weisheit und Christus aufs neue, nicht wenig spannungsgeladen. 

Ich lese aus dem 1. Korintherbrief im zweiten Kapitel, die Verse 1-10: 

„Auch ich, meine Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen. 2 Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten. 3 Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; 4 und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft, 5 auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. 6 Von Weisheit reden wir aber unter den Vollkommenen; doch nicht von einer Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. 7 Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, 8 die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. 9 Sondern wir reden, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« 10 Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes.“

Liebe Gemeinde, 

wie anders klang doch das werbende Lied der Weisheit im Alten Testament. Sie sang davon, dass die Herrscher durch sie Macht haben, dass Wahrheit und Gerechtigkeit in ihr wohnen, es ist nichts verkehrtes in ihr. Sie verheißt gleichzeitig Gottesnähe und gefüllte Schatzkammern. 

Sie ruft: Sucht mich und strebt nach mir, der Weisheit, denn es wird euch durch mich gutgehen. 

Und bei Paulus? Bei ihm heißt es: „Ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten.“ Er spricht von Weltweisheit, die vergeht, die die Mächtigen in die Irre führt, die trickreich zur Unwahrheit überredet, nämlich genau so, wie seine wortgewandten Widersacher in Korinth es tun. 

Für ihn selbst bleibt nur Schwachheit und Zittern und Furcht. Er weiß nur „Christus“, nichts anderes, Christus, der das Geheimnis Gottes offenbart und mit dem Geist sogar die Tiefen Gottes erforscht, aber … es bleibt bei ihm Geheimnis. 

In dieselbe Kerbe haut das Lied, das wir eben gesungen haben: In dir ist Freude in allem Leide, o du süßer Jesu Christ … an dir wir kleben im Tod und Leben, nichts kann uns scheiden, du der wahre Heiland bist. 

„Christus allein“ und sonst nichts. 

Die Weisheit Gottes wird zur Person.

Und mein eigenes Suchen nach der Weisheit? 

Wir singen: EG 398, 2 Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden

Liebe Gemeinde, 

ich will ihnen ganz offen sagen, dass mich diese spätmittelalterlichen Liedtexte in ihrer Frömmigkeit manchmal ganz schön nerven. 

Christus soll so sehr der Mittelpunkt meines Heils sein, dass ich mich frage, was von mir und meinem Erleben des Heils eigentlich noch übrigbleiben. In der Aufzählung der Übel steht die „Welt“ ganz selbstverständlich neben Teufel, Sünd und Tod. Und weil Christus gegen das alles allein das Heil ist, sollen wir uns freuen … aber auf was eigentlich? Auf das zukünftige Heil, auf das, was nach dem Tod kommt? Und an was jetzt? 

Die Antwort lautet: An und auf Christus, denn die Welt kann es nicht sein. 

Vor kurzem habe ich wieder Menschen mit umgeschnallten Plakaten gesehen, auf denen steht: Jesus lebt! Vermutlich hoffen sie, dass sie Menschen ansprechen mit dieser Botschaft, dass sie Trost spenden oder wachrütteln. 

Ich habe mich bei dem Gedanken ertappt, dass ich ja darüber nur dann froh sein kann, dass das nur dann Erlösung sein kann, wenn ich um seinen Tod verzweifelt getrauert habe. Und habe ich das? Besonders, wenn ich mit dem Glauben so gar nichts zu tun habe? 

Ich habe Jesus nicht kennengelernt. Ich lese beeindruckendes von ihm, aber auch manches, was ich nicht verstehe, was nicht in unsere Zeit und in unsere aufgeklärte Welt passt, manches macht ihn durchaus auch mal unsympathisch. Ich habe nicht erlebt, was seine Zeitgenossen offenbar an ihm erlebt haben: Eine geradezu zwingende Autorität, die sich nicht aus machtvollen Mitteln und auch nicht allein aus Rhetorik speist, sondern in ihm selbst begründet lag; Er selbst und manche – aber natürlich längst nicht alle seiner Zeitgenossen – sagten: … die aus Gott kam. 

Trotz dieser vielen Beschäftigungen mit ihm, mit allem, was über ihn theologisch gesagt werden kann, was Menschen über ihn geschrieben, gesungen haben … trotz all dem: diese emotionale Nähe des Liedes aus dem 16. Jahrhundert, die emotionale Nähe mancher erweckter Christen bereitet mir oft Probleme, wenn ich das Gefühl habe, es schlägt um in einen reinen Personenkult; es wird eng, wenn es auf Seiten des Menschen nur noch Teufel, schlechte Welt, Sünde und Tod gibt und als heilsames, aber nicht greifbares Gegenüber ein Name steht und ein mit ihm verbundenes offenbartes und zugleich tief verborgenes Geheimnis. 

In vielen Gesprächen schlägt mir dieses Misstrauen entgegen, weil die immer noch sehr spürbaren Prägungen erweckter Frömmigkeit in der Kirche, viele sprachliche Wendungen und mittelalterlich erscheinenden Floskeln so viele Menschen ratlos lassen. 

Bei gleicher Melodie springen wir im Liedtext einmal 384 Jahre näher an unsere Zeit heran und singen aus dem EGplus das Lied 144 Dich rühmt der Morgen …

LIED: +EG 144, 1 Dich rühmt der Morgen

Jörg Zink, der den Text des Liedes geschrieben hat, kennt das alte Lied natürlich. Und so geht es hier auch um das Lob Gottes, weil er der Erden Weite Freude schenkt, weil er treu an unserer Seite bleibt, uns umgibt wie Tau, Luft und Wind. Jesus aber kommt gar nicht vor. 

Und wie anders erscheint die Welt: Es ist Gottes Welt, seine Schöpfung, von der Gott sagt: Siehe es war sehr gut. 

Sonnen gehn und preisen mit ihren Kreisen der Weisheit Überfluss, aus dem sie sind. 

Die Welt ist nicht gleichzusetzen mit Sünde, Teufel und Tod, sie ist entstanden aus der Fülle von Gottes Weisheit, unerschöpflich wie das Weltall. 

Und daher schwingt in ihr eine verborgene, weil nicht gänzlich erfassbare Weisheit mit, auf die man hören kann und auf die man hören muss. 

Das Loblied der Schöpfung will erklingen, in allen Dingen, in allem was geschieht – vielleicht kann es das nicht immer, vielleicht hören wir es nicht, vielleicht verstehen wir es nicht – aber es soll sein, weil es sein kann und sein darf. 

Das gibt der Freude auch in dieser Welt einen Ort. 

Das gibt der Weisheit auch in dieser Welt einen Ort. 

Das gibt sogar der Freude an der Weisheit seinen Ort, 

denn ich darf die Sehnsucht haben, mehr zu wissen als „allein Christus“ und mehr wissen wollen, hinterfragen, suchen. Ich darf versuchen, die Geheimnisse der Welt zu erforschen und die Tiefen Gottes zu befragen. Ich darf mich von der Weisheit rufen lassen und umwerben, ja eher: Ich muss es, denn ich will ja in das Loblied der Schöpfung einstimmen, umfangen sein von Gott, wie von Tau und Wind. Ich will ja glauben und hoffen, dass Anfang und Ende in Gottes Hand sind, das über der Nacht auch der Morgen kommt … und das muss ich erfragen dürfen mit den Mitteln und Wegen, die mir in dieser Welt gegeben sind …  von meinem Schöpfer. 

Das Lied und auch der Ruf der Weisheit im Alten Testament sprechen davon, dass die Weisheit dieser Welt und Gottes Weisheit ganz und gar nicht so klar zu trennen sind, wie Paulus es meint. 

Warum also unterscheidet er die Weisheit Gottes von der Weisheit des Menschen? 

Ein nicht ganz zu verleugnendes, aber wenig schönes Motiv könnte sein, dass er seinen rhetorisch überlegenen Gegnern etwas entgegenhalten will, das sie disqualifiziert. 

Etwas anderes ist aber wichtiger: 

Weisheit, von der ich alleine unabbringbar meine, dass sie der Weisheit letzter Schluss ist, ist vielleicht gar keine Weisheit. Weisheit, die nur dadurch überzeugt, dass sie mit Überredung oder Macht einhergeht, ist keine Weisheit. 

Weisheit, die mir allein Vorteile bringt oder die Möglichkeit nicht einräumt, dass auch etwas anderes wahr oder richtig sein könnte, ist keine Weisheit. 

„Ich weiß, dass ich nichts weiß“: Der berühmte Satz des Sokrates zeigt, dass auch Demut zum Streben nach Weisheit gehört. 

Das weiß Paulus auch, er prangert es bei seinen Gegnern an und erhebt doch zugleich Anspruch darauf, dass seine Verkündigung allein die rechte sei. 

„Allein Christus“ – kann Paulus das für sich beanspruchen, der sich mit eigenen Kräften und einer eigenen Theologie daranmacht, Christi Leben und Lehren, sein Sterben und Auferstehen auszulegen und neuen Gemeinden zu erzählen?

Wie also umgehen mit der Unterscheidung und Verwerfung menschlicher Weisheit und einem alles andere ausschließenden „allein Christus“? Und das in einer aufgeklärten, multikonfessionellen, multireligiösen und überwiegend säkularen Gesellschaft? 

Ohne unser Bemühen, unsere Kraft und ja auch ohne unsere Weisheit, die Gott uns ins Herz gelegt hat, können wir Gott nicht suchen, seinen Geist und sein Ziel nicht erahnen.  

„Allein Christus“ – ich kann den Satz so verstehen, dass er das notwendige Gegenüber ist, das mein Bemühen hinterfragt: Suche ich Weisheit vor und zu Gott oder nur für mich selbst? Wir stehen in einer langen Reihe von Menschen, die sich um das Verstehen dieser Welt bemühen, die Zeugnis ablegen von ihrer Suche nach Sinn und Hoffnung, nach Gerechtigkeit, die darin Glück und Scheitern finden.  

Allein Christus besagt, dass ich nicht alles verstehen muss, mich nicht durch Verstehen und Tun selbst ans Ziel bringen muss. 

„Allein Christus“ – das ist Gottes Treue, der an seinem Wort des Lebens und der Zukunft festhält, auch wenn es am Kreuz zum Schweigen gebracht wird. 

„Allein Christus“ bedeutet nicht, dass wir nicht nach Weisheit streben und mit unseren Gaben befragen, im Gegenteil. Wir sollen. Amen. 

Lied nach der Predigt: +144, 2 Du hast das Leben allen gegeben …