Gottesdienst vom 06. Juni 2021 zum Lesen und Hören

Hier können Sie den Gottedienst vom 06. Juni 2021 aus der Markuskirche mit Pfrin. Irmhild Ohlwein und Organist Juergen Bonn (Orgel und Gesang) lesen und hören:

Eingangsliturgie
Predigt
Ausgangsliturgie

Predigt über Jona 1,1 – 2,11; 3, 1-3a von Pfrin. Irmhild Ohlwein

„Gnade sei mit euch, und viel Barmherzigkeit und Frieden und Liebe. Amen!“

I. Ins Nichts versinken

„Manchmal, wenn ich den Namen Gottes ausspreche, will ich in ein Nichts versinken… Dagegen hilft nur das Gebet.
Und wenn in mir noch so viele Teufel rasen, ich will mich an das Seil klammern, das mir Gott in Jesus Christus zugeworfen hat, auch wenn ich es nicht mehr in meinen erstarrten Händen fühle.

So schreibt die Studentin Sophie Scholl in einem Brief an ihren Freund, den angehenden Wehrmachtsoffizier Fritz Hartnagel am 18. Nov. 1942, liebe Gemeinde.
Gerade, am 9. Mai wurde ihres 100. Geburtstages gedacht.
Aus ihrem tiefen Glauben heraus setze Sophie Scholl im Kampf gegen das national- sozialistische Unrechtsregime ihr Leben ein. Mit ihrem Bruder Hans und Studierenden engagierte sie sich seit 1942 in München in der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“.

Aus dem Untergrund organisierten sie den Druck und die Verteilung von Flugblättern, die zu klaren Entscheidungen gegen die Diktatur Hitlers aufriefen. Auch in andere Städte und sogar bis nach Großbritannien gelangten die Schriften.
Im Februar 1943 wurden sie und Hans bei einer Verteilaktion in der Uni München gefasst, zum Tode verurteilt und unmittelbar hingerichtet.

„Manchmal, wenn ich den Namen Gottes ausspreche, will ich in ein Nichts versinken…“

Es kann unruhig werden, sich der Boden unter den Füßen auftun, wenn wir die Stimme Gottes – oder des Lebens Ruf an uns hören.
Welche Unruhe und Untiefe werden Kardinal Marx begleiten bei seinem Schritt, von seinem Amt als Erzbischof zurücktreten zu wollen. Aus seinem persönlichen Glauben steht er gegen die Amtskirche auf.

„Manchmal, wenn ich den Namen Gottes ausspreche, will ich in ein Nichts versinken…“

Vielen ist es schon so gegangen, Noah, Mose, dem Propheten Jeremia und Jona. Heute hören wir seine Geschichte:

Predigttext: Jona 1,1 – 2,11; 3,1-3a:

1.1Und das Wort des HERRN erging an Jona, den Sohn des Amittai: 2Mach dich auf, geh nach Ninive, in die große Stadt, und rufe gegen sie aus, denn ihre Bosheit ist vor mir aufgestiegen. 3Jona aber machte sich auf, um vor dem HERRN nach Tarschisch zu fliehen. Und er ging hinab nach Jafo und fand ein Schiff, das nach Tarschisch fuhr. Und er zahlte sein Fährgeld und stieg hinab in das Schiff, um mit ihnen nach Tarschisch zu fahren, weg vom HERRN. 4Der HERR aber warf einen gewaltigen Wind auf das Meer, und über dem Meer zog ein schwerer Sturm auf, und das Schiff drohte auseinander zu brechen. 5Und die Seeleute fürchteten sich, und jeder schrie zu seinem Gott. Und die Ladung, die auf dem Schiff war, warfen sie ins Meer, um es davon zu erleichtern. Jona aber war hinabgestiegen in die hintersten Winkel des Schiffs und hatte sich niedergelegt und war eingeschlafen. 6Da kam der Kapitän auf ihn zu und sagte zu ihm: Was ist mir dir? Du schläfst ja! Mach dich auf, rufe zu deinem Gott, vielleicht erinnert der Gott sich unser, und wir gehen nicht zugrunde. 7Und sie sagten, ein jeder zu seinem Nächsten: Kommt und lasst uns Lose werfen, wir wollen erfahren, um wessen willen uns dieses Unglück trifft. Und siewarfen Lose, und das Los fiel auf Jona. 8 Da sagten sie zu ihm: Sag uns doch, um wessen willen uns dieses Unglück trifft. Was ist dein Gewerbe, und woher kommst du, welches ist dein Land, und aus welchem Volk bist du? 9 Und er sagte zu ihnen: Ich bin ein Hebräer, und ich fürchte den HERRN, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat. 10 Da gerieten die Männer in große Furcht und sagten zu ihm: Was hast du da getan! Denn die Männer wussten, dass er vor dem HERRN floh, er hatte es ihnen gesagt. 11Und sie sagten zu ihm: Was sollen wir mit dir machen, damit das Meer sich beruhigt und von uns ablässt?, denn das Meer wurde immer stürmischer. 12 Und er sagte zu ihnen: Packt mich und werft mich ins Meer, damit das Meer sich beruhigt und von euch ablässt! Denn ich weiß, dass dieser schwere Sturm meinetwegen über euch gekommen ist. 13 Die Männer aber ruderten verbissen, um das Schiff zurück ans Trockene zu bringen, aber sie schafften es nicht, denn das Meer wurde immer stürmischer gegen sie. 14 Da riefen sie zum HERRN und sprachen: Ach HERR, bitte lass uns nicht zugrunde gehen, wenn wir diesem Mann das Leben nehmen, und rechne uns unschuldiges Blut nicht an, denn du, HERR, hast gehandelt, wie es dir gefallen hat. 15 Dann nahmen sie Jona und warfen ihn ins Meer, und das Meer wurde still und tobte nicht mehr. 16 Da kam große Furcht vor dem HERRN über die Männer, und sie schlachteten ein Opfer für den HERRN und legten Gelübde ab. 2, 1 Und der HERR ließ einen großen Fisch kommen, der Jona verschlingen sollte. Und drei Tage und drei Nächte lang war Jona im Bauch des Fisches. 2 Und aus dem Bauch des Fisches betete Jona zum HERRN, seinem Gott, 3 und er sprach: Als ich in Not war, rief ich zum HERRN, und er hat mich erhört. Aus dem Innern des Totenreichs rief ich um Hilfe, du hast meine Stimme gehört. 4 Du hattest mich in die Tiefe geworfen, mitten ins weite Meer, und die Strömung umspülte mich, all deine Wogen und deine Wellen gingen über mich hinweg. 5 Und ich, ich sprach: Ich bin verstoßen, deinen Augen entzogen! Doch ich werde wieder aufblicken zu deinem heiligen Tempel! 6 Das Wasser stand mir bis zum Hals, die Flut umspülte mich, Schilf hatte sich um meinen Kopf gewickelt. 7 Zum Fuß der Berge war ich hinabgefahren, die Erde -ihre Riegel schlossen sich hinter mir für immer. Da hast du mein Leben aus der Grube gezogen, HERR, mein Gott! 8 Als meine Lebenskraft sich mir versagte, erinnerte ich mich des HERRN, und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel. 9 Die nichtige Götzen verehren, lassen ihre Gnade fahren. 10 Ich aber will dir Opfer schlachten mit lautem Danken, was ich gelobt habe, will ich erfüllen! Die Hilfe ist beim HERRN! 11 Und der HERR sprach zum Fisch, und dieser spie Jona aufs Trockene.

II. Steh auf!

„Steh auf!“, hört Jona, geh nach Ninive, in die Hölle, sozusagen.
Ninive ist eine große Stadt, die Hauptstadt des aggressiven und übermächtigen Assyrer- Reiches, ein Zentrum der Macht.
Ninive steht für den Feind, vor dem die Leute in Israel Angst haben. Ninive steht für Vernichtung, Terror, brutale Gewalt.
Und Gottes Auftrag an Jona: gegen diese Stadt schreien, ihre Bosheit beim Namen nennen, ihre Zerstörung ankündigen. Das ist eindeutig zu viel für die Seele.
Jona flieht – nach Tarsis, an die Westküste Spaniens, damals gleichbedeutend mit dem Ende der Welt. Und es wird dramatisch. Das erstbeste Schiff, der Sturm, die Seeleute…

„Manchmal, wenn ich den Namen Gottes ausspreche, will ich in ein Nichts versinken…“

Es kann unruhig, gar turbulent werden, wenn wir die Stimme Gottes – oder des Lebens Ruf an uns hören: Steht auf gegen Unrecht! Setz dich ein für den Willen Gottes! Verändere etwas!
Das kann den Einsatz des Lebens bedeuten, oder im anderen Sinne des Lebens, wie gerade ist.

Steh auf! Geh du auf den Menschen zu, der dir feind ist. Oder vielleicht ist es auch ein innerer Feind, gegen den du aufstehen musst.
Bleib nicht sitzen in deiner Sicht auf die Dinge! Mach es so, dass du wirst, wozu du berufen bist!

Das bedeutet aufbrechen, loslassen, Sicherheiten aufgeben, das eigene Leben, so, wie es gerade ist, loslassen.
Der Boden unter den Füßen tut sich auf; was mir sicher und unverrückbar erscheint, beginnt zu wackeln.

Es geht um alles, und auf mich kommt es jetzt an: einen neuen Schritt zu machen, mich ins Unsichere wagen, dem begegnen, was mir Furcht macht, ganz persönlich, gegenüber einem anderen Menschen, in unserer Gesellschaft.
Aufstehen oder fliehen, das sind die Möglichkeiten.

Jona ergreift die Flucht.
Doch der „Flüchtling seines eigenen Lebens“ (Eugen Drewermann, Und der Fisch spie Jona an Land, Walter Verlag 2003) gerät dadurch erst recht in einen Sturm. Die ganze chaotische Energie führt zum Chaos drumherum.
Das Wasser steht ihm bis zum Hals. Angst und Überforderung treiben ihn ins Gegenteil. Jona will seine Ruhe. Er versteckt sich im Bauch eines Schiffes und fällt in einen todesähnlichen Schlaf.

Andere suchen einen Schiffsbauch auf, indem sie sich von allem zurückziehen in Einsamkeit, Träumereien, Passivsein bis zur Depression. Oder aber sie weichen aus, indem sie sich umgekehrt in Tumult stürzen, der alles betäubt. Andere versuchen es mit Rausch, der bewusstlos macht.
„Doch das Furchtbare einer jeden solchen Flucht besteht darin, dass das, was du verdrängst, dich ganz sicher wieder einholt! Am Ende bricht das Vermiedene über dich herein“ (E. Drewermann, a.a.o, S. 23f).
Das alles beschleunigt nur den Sturm oder das Sinken in die Untiefe. Und in diese Untiefe werden auch alle anderen mitgezogen: die Seeleute, die Partner:innen, die Kinder, alle, die an Bord sind.
Lange versuchen die Seeleute, gemeinsam mit Jona ein rettendes Ufer zu erreichen. Lange versuchen es Partner:innen, Freund:innen, Kinder ihren Menschen zu halten.

Doch dann zerren die Seeleute Jona aus dem Schiffsbauch und fragen ihn:
Wer bist du? Wo kommst du her? Wo willst du hin?
Und es scheint, als käme Jona nun zu sich und wird sich klar:
„Ich bin ein Hebräer, und ich fürchte den HERRN, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat.“ (1,9).

Jona spricht aus, was die Wahrheit ist: Ich gehöre zu Gott, dem Herrn über alles, den festen Grund und ebenso die Untiefen; und vor diesem und dem, was er von mir will, bin ich auf der Flucht.
Jona kann und muss vor und mit Gott seinen Weg nur alleine machen.

Und so sagt er zu den Seeleuten: Packt mich und werft mich ins Meer, damit das Meer sich beruhigt und von euch ablässt! Denn ich weiß, dass dieser schwere Sturm meinetwegen über euch gekommen ist.“ (1,12).

Eine und einer stehen zuletzt alleine vor Gott mit der eigenen, baren Existenz.
Und das kann beides wirken: sich sicher zu fühlen oder aber in die größte Unruhe zu geraten, sich nach Gottes Willen aufzumachen für mich oder für andere, oder aber die Flucht anzutreten.

III. Rettung im Walfisch

„Manchmal, wenn ich den Namen Gottes ausspreche, will ich in ein Nichts versinken…“

Doch gerade dann, so erzählt die Geschichte, schickt Gott einen großen Fisch, wie den, der den Propheten Jona verschlingt.
Rettung deutet sich an. Wieder ist Jona in einem Bauch, aber diesmal in dem eines Fisches, und er schläft auch nicht wie im Schiff, sondern er ist hellwach.

Er sitzt mittendrin im Urviech, das der Wal für ihn und seine Zeit war.
Doch ausgerechnet hier findet Jona seine Ruhe nach dem Sturm.
Als er allein ist, allein mit sich, im Dunkeln, wo er sich gefangen fühlt und nicht weiß, wie es weitergeht, da beginnt ein Neuanfang.
Mitten im „Fischbauchgefängnis“ erkennt Jona Gottes Hand, oder vielleicht gerade umgekehrt das Fischbauchgefängnis, das Dunkel, das „nicht-weiter-Sehen“, das Schwimmen als Gottes Hand?4

Jonas` Flucht war im Sturm geendet, aber dass er bekannt hat, was mit ihm los ist, und dass er sich dann der ganzen Tiefe und dem Abgrund überließ, führen zu seiner Rettung. Menschen in Krisen, in Zeiten und Erfahrungen, in denen sich etwas trennt oder zerreißt, sitzen auch so im Düsteren und in der Tiefe.

Wer um einen geliebten Menschen trauert, weiß das. Wer eine neue Liebe beginnt. Einen neuen Lebensabschnitt. Eine große Aufgabe. Wer heraus will aus einem wackeligen Schiffsbauch und vermeintlicher Sicherheit.

Jona kann sich nun dort im Walfischbau sammeln und Kontakt finden zu Gott, zur Lebenskraft. Er betet, sagt Gott, was ist. Und schon dabei verwandelt sich seine Not in Gerettetsein:

4 Du hattest mich in die Tiefe geworfen, mitten ins weite Meer, und die Strömung umspülte mich, all deine Wogen und deine Wellen gingen über mich hinweg. 5 Und ich, ich sprach: Ich bin verstoßen, deinen Augen entzogen! Doch ich werde wieder aufblicken zu deinem heiligen Tempel! 6 Das Wasser stand mir bis zum Hals, die Flut umspülte mich, Schilf hatte sich um meinen Kopf gewickelt. 7 Zum Fuß der Berge war ich hinabgefahren, die Erde -ihre Riegel schlossen sich hinter mir für immer. Da hast du mein Leben aus der Grube gezogen, HERR, mein Gott! 8 Als meine Lebenskraft sich mir versagte, erinnerte ich mich des HERRN, und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel. 9 Die nichtige Götzen verehren, lassen ihre Gnade fahren. 10 Ich aber will dir Opfer schlachten mit lautem Danken, was ich gelobt habe, will ich erfüllen! Die Hilfe ist beim HERRN!

Vor Gott, vor meinem Leben und seinem Auftrag ins Nichts versinken, und von Gott aus dem Nichts gerettet werden – das ist eine Erfahrung großer Ambivalenz. Doppelwertig und spannungsvoll ist es, zu glauben, ein „Fliehen von Gott zu Gott“, so beschrieb es Martin Luther.

Das Gebet suchte auch Sophie Scholl, und sie fand darin Ruhe und Kraft für ihren Auftrag, den Widerstand gegen das NS-regime fortzuführen:
„Und wenn in mir noch so viele Teufel rasen, ich will mich an das Seil klammern, das mir Gott in Jesus Christus zugeworfen hat, auch wenn ich es nicht mehr in meinen erstarrten Händen fühlen“, so schreibt sie.

Im Gebet fand auch Kardinal Marx Sicherheit und Klarheit für seinen Schritt, seinem inneren Auftrag zu folgen und mit seinem Amtsverzicht die Strukturen in der Katholischen Kirche aufzubrechen.

Im Gebet kehrt Frieden ein und Mut für den Auftrag, den jede und jeder persönlich verspürt.

IV. Heraus aus dem Walfischbauch

Aber dann führt der Weg aus dem Gebet und der persönlichen Ruhe mit Gott wieder hinaus ins Leben und die Aufgaben, die warten. Man kann nicht ewig im Bauch des Walfisches leben.
So schmeißt Gott Jona wieder raus. Er lässt den Fisch Jona an Land speien.

Unmittelbar, mit Schwung landet Jona wieder auf dem Boden.
Dieser Ruck und der Anschub sind regelrecht zu spüren in den letzten Worten der Geschichte.
Und die bringen Jona auf die Beine und zurück auf seinen Weg, auf den er geschickt worden war.
„Und es geschah das Wort des Herrn zum zweiten Mal zu Jona: Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage!
Da machte sich Jona auf und ging hin nach Ninive, wie der Herr gesagt 
hatte.“ (Jona 2, 1-3a)

Und da machen nun, nach dem Gottesdienst, dem Beten und Sammeln, ich mich und Sie sich auf den Weg mit der Aufgabe, vor die wir uns vor Gott gestellt sehen.

Amen