Gottesdienst am Karfreitag zum Lesen und Hören

Unten können Sie den Gottesdienst lesen und hören. Während der Predigt wurde nach und nach ein Kreuz aus Steinen auf den Altar gebaut. Während einer Stille konnten die Gottesdienstbesucher Steine vom Altar mit nach Hause nehmen, um sie für Ostern umzugestalten .. bemalen, bekleben, beschriften … am Ostersonntag werden im Gottesdienst um 10.00 Uhr in der Karlsaue die Steine zu einem Osterbild neu gelegt. Jeder Besucher kann allerdings am Sonntag einen bunten Stein bekommen!

Hier können Sie den Gottesdienst an Karfreitag mit Pfr. Jansen, Norbert Lange, Carola Mainka und Kantor Juergen Bonn hören (ab etwa 17.00 Uhr)

Passionslesungen
Predigt und Gebet

Hier können Sie die Predigt lesen:

Predigt an Karfreitag 2021                                                Pfr. Till Jansen

mit Klage und Gebet 

Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? 

Rühmet den Herrn. (Psalm 22)

Zwei Aussagen, die nicht gegensätzlicher sein können und doch stehen sie in einem Gebet. Tiefste Klage und größtes Vertrauen: Sie streiten in einem Herzen. 

Die ganze Heilige Schrift, die Botschaft von Kreuz und Auferstehung sind niemals schwarz-weiß Malerei. Das Wort Gottes gibt keine einfachen Antworten und keine Einseitigkeiten. 

Zerrissen zwischen Klage und Dank, zerrissen zwischen Sorgen und Hoffnung, zerrissen zwischen Resignation und Hilflosigkeit auf der einen Seite und waghalsigem Trotz auf der anderen erleben wir diese Ostertage. 

In der öffentlichen Wahrnehmung scheint der Schwerpunkt des Osterfestes auf der Freude über die freie Zeit zu liegen, dem leider zu verhindernden Familienfest, auf Reisen. Gestern bei der Tagesschau war die Ansage zu Angela Merkels Apell, die Feiertage unter Vermeidung von Kontakten zu feiern mit Posaune spielenden Osterhasen auf einem leeren Marktplatz bebildert. 

Die Texte, die uns heute zugemutet werden, haben eine ganz andere Athmosphäre. Sie zeigen den Menschen an einem Tiefpunkt, sie zeigen Igoranz, sie zeigen Hässlichkeit und Leid und sprechen zugleich vom Werk Gottes, das Heil und Erlösung bringen wird. Sie sprechen von nackter Wahrheit, die nicht schön ist, sondern geschunden wird, sie sprechen von Schuld, von Tod, und dennoch gleichzeitig vom Leben, beides miteinander verwoben. 

In allem Leiden sollen Wahrheit und Leben sich durchsetzen – ganz ohne Hochglanzprospekt und schon gar nicht auf dem leichten Weg. 

Wir hören aus dem Prophetenbuch des Jesaja ein Lied des leidenden Gottesknechtes.

Diese unverblümte biblische Rede über uns Menschen zwingt uns, das Leiden wahrzunehmen und zu beklagen und sie mutet uns zu, in ihr dennoch Gottes verheißenes Leben zu suchen. 

Jesaja 52, 13 – 53, 11

Siehe, meinem Knecht wird’s gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein. 14 Wie sich viele über ihn entsetzten – so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch und seine Gestalt nicht wie die der Menschenkinder –, 15 so wird er viele Völker in Staunen versetzen, dass auch Könige ihren Mund vor ihm zuhalten. Denn was ihnen nie erzählt wurde, das werden sie nun sehen, und was sie nie gehört haben, nun erfahren.

Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und an wem ist der Arm des HERRN offenbart? 

Klage 

Da schreit eine oder einer gegen die Taubheit der Welt an. 

Ich sehe das und ich denke mir: Das wird irgendwann verstanden werden von allen, diese kraftvolle Vision einer guten, geheilten Welt und wer jetzt noch spottet, wird verstummen, wenn er die Wahrheit erkennt, wenn er nachdenkt über die Worte, die er hört, wenn er überhaupt erst einmal beginnt sie zu hören. 

Und sofort stirbt die Hoffnung wieder, dass das etwas bringt: Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde? 

Also schweige ich und dieser schreiende Mensch wird hässlich in seinem Schreien und lästig, anders als die anderen und zugleich so anstrengend wie die anderen Spinner. 

Die eine spricht mit Tränen in den Augen vor der UN über den Klimawandel: How dare you! Ein anderer verkündet, dass es den Klimawandel gar nicht gibt. Zwei politische Gegner behaupten, sie hätten die Wahlen haushoch gewonnen, einer behauptet, er hätte das Volk wählen lassen. Man spricht von Nächstenliebe und verschweigt sexuelle Gewalt, man spricht von Toleranz und Offenheit und lebt sie nicht, man wolle die Krise bewältigen, sagt man, und verdient dabei, man spricht von Arbeitsplätzen und vermehrt nur Kapital für wenige, Tausende, die für Demokratie streiten, werden weggesperrt und zum schweigen gebracht, so wie auch der Rest der Welt lieber jetzt schon schweigt, Corona gibt es nicht, daher kann man doch jede Rücksicht auf andere fallen lassen; jüdische Weltverschwörung, Bevölkerungsunterwanderung, Qanon, Bill Gates, ein Mann mit einem Plakat: Jesus lebt! 

Was ist Wahrheit? fragt Pilatus und wäscht seine Hände in Unschuld. 

Wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und an wem ist der Arm des HERRN offenbart? 

So bin auch ich, Gott, und ich klage es vor dir: 

auch ich, ein Mensch, der mitunter ratlos den Kopf schüttelt, sich in sein Haus verkriecht und schweigt. 

Gott, mein Gott, stärke meinen armen Glauben, dass ich höre und rede und hilf mir, aus der Liebe zu leben. 

Jesaja 53

2 Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. 3 Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. 

Klage: 

Warum schämen sich Menschen, wenn sie an Corona erkrankt sind oder Angehörige an Corona verstorben sind? 

Was genau können sie eigentlich dafür? 

Welche Unterstellungen schießen in unsere Köpfe, wenn wir einen vollkommen kaputten Menschen auf der Straße sehen? Was er wohl falsch gemacht hat oder verbrochen? 

Selbst Schuld, wenn der Jugendliche keine Zukunft hat … bei dem Elternhaus?

Haben Benachteiligungen eigentlich irgend einen berechtigten Grund?

Kann eigentlich jemand nicht liebens-wert sein? Also: Liebens-wertlos? 

Warum verbergen wir unser Angesicht vor Geflüchteten in durchnässten Zelten ohne Essen und ohne sauberes Wasser? 

Vielleicht bezahlen wir doch Geld – nicht, dass sie am Ende noch zu uns kommen? 

Die keinerlei Macht haben, verlieren ihre Stimme. 

Gott, wir klagen dir, dass wir gefangen sind in Ängsten und Vorurteilen. 

Wir klagen, dass wir die Augen verschließen, weil wir das Elend nicht ertragen. 

Wir klagen, dass wir hilflos sind und taub. 

Gott, mein Gott, stärke meinen armen Glauben, dass ich fühlen kann und handle und hilf mir, aus der Liebe zu leben. 

Jesaja 53

4 Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. 5 Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. … 6 Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. …

7 Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. …

9 Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist. 10 Aber der HERR wollte ihn also zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und lange leben, und des HERRN Plan wird durch ihn gelingen.  … Durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden.

Klage:

Ein jeder sah auf seinen eigenen Weg und damit gingen alle in die Irre. Ein so einfacher Satz, der erklärt, was Sünde ist: Wenn wir nur auf unseren Weg schauen, dann sehen wir gar nicht, wie wir einander Lasten auflegen. Wir sehen auch das Leiden nicht. Nicht einmal, wenn viele still sterben. Wie viele Menschen sind umgekommen, weil sie für geringste Löhne seltene Erden für die digitale Welt schürfen, an der sie gar nicht teilhaben? 

Wieviele Menschen sterben und leiden in Syrien und in aller Welt, weil Konflikte zu Stellvertreterkriegen werden? 

Wieviele Menschen sterben in Armut und Unterdrückung, weil es für reichere Länder profitabler ist, geschäftliche Beziehungen mit Diktatoren und militärischen Regimen zu unterhalten?

Vor diesen riesigen, komplexen Problemen, vor diesen so zahlreichen Konflikten, vor diesem unsäglichen 

Leiden stehen wir Menschen ratlos da, als Weltgemeinschaft, als jeder Einzelne. 

Ratlos und gefangen im eigenen Leid klagen wir vor dir,  Gott: 

Dass die Schüler immer weniger Sinn sehen für eine so gefährdete und unplanbare Zukunft zu lernen, 

dass die Alten geschützt werden sollen und gleichzeitig vereinsamen, 

dass die Eltern überfordert sind, den tausenden Ansprüchen von allen Seiten zu genügen, 

dass die Seele nicht kraft tanken darf, aber die Arbeit laufen soll, 

dass wir müde werden und Hoffnung verlieren, 

dass wir uns Sorgen vor Krankheit, Einsamkeit, Verlust. 

Unsere ganze verletzliche Menschlichkeit, unsere Schwäche und Ratlosigkeit bringen wir vor dich, Gott, denn der, der für uns klaglos stirbt, der unsre Last trägt, die wir einander auferlegen, der unser Leiden erträgt, das bist du, am Kreuz. 

Wir klagen es dir, dass du unser Leiden und unsere Machtlosigkeit mitträgst, und wir wieder frei werden, einander zu sehen. 

Gott, mein Gott, stärke meinen armen Glauben, dass ich Vertrauen lerne in das Leben und den Blick aufhebe vom eigenen Weg. Hilf mir, aus der Liebe zu leben. 

Amen