Predigt vom 6. September 2020 zum Nachlesen

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Predigt: Apg. 6, 1-7 „Streiten verbindet“

Gnade sei mit Euch, und viel Barmherzigkeit und Frieden und Liebe. Amen!

Liebe Gemeinde,

das Thema des heutigen 13. Sonntags n. Tr. ist die christliche Ethik, dass also zum Glauben an Gott ein dementsprechendes Handeln gehört.
Viele Predigtexte handeln deswegen von der Nächstenliebe und der Diakonie als Lebensäußerung des Glaubens.

Aber in einem Text geht es zusätzlich um Streit, Streit um das rechte Tun und andersherum: rechtes Tun aus dem Streit. Und das finde ich interessant für uns. Denn mit Streit tut sich die Kirche ja schwer.

„Wenn ich mal Klartext rede, dann gelte ich in der Kirche gleich als ungnädig“, so sagte mir kürzlich jemand notvoll.
„Dabei geht ́s um Dinge, die auf den Tisch müssten“, sagte die Person, „weil es so nicht gut ist und ́was verändert werden muss. Wenn ich ́s aber dann sage, kriege ich schnell den Eindruck, den Frieden zu stören, jedenfalls empfinde ich das so.“

Vielleicht ist das tatsächlich auch die Sorge meines Gesprächspartners, bei kritischen Äußerungen sozusagen „ausgestoßen“ zu werden; aber es ist schon so und das belegen auch Untersuchungen, dass wir uns in der Kirche und den Gemeinden nicht leicht tun mit Konflikten. Wir erleben sie schnell als Bedrohung der Gemeinschaft, die wir doch sein wollen, und als Störung des Friedens, an dem wir selbst mitwirken sollen.
Aber es ist eine Realität, dass es auch in der Kirche und Kirchengemeinden Spannungen und Konflikte geben kann, und dass man sich über die Kirche überhaupt ärgert.
Dinge werden nun mal unterschiedlich erlebt und eingeschätzt. Die Vorstellungen und Wünsche, wie es sein soll, können auseinander gehen. Und natürlich sind wir als Christinnen und Christen Menschen, die Fehler machen können.

Spannungen gibt es bei „Kirchens“ auch, selbst wenn sie manchmal nicht offen sind. Ja, Ärger und sogar Wut sind ein dickes Thema in der Kirche.
Der Theologe und Pastoralpsychologe Prof. Michael Klessmann hat ein Buch darüber geschrieben: „Ärger und Aggression in der Kirche“heißt es.

Aggressionen, also Wut und Ärger, die jede und jeder hat und die wir von Natur aus auch in uns tragen als sogenannten Trieb, um zu bestehen, die werden in der Kirche lieber unterdrückt aus Angst, dass die Gemeinschaft leidet, oder aus der Sorge, als unfein, unanständig betrachtet zu werden.

Doch alles Unterdrückte kommt dann woanders raus, z.B. durch leisen oder offenen Rückzug, in unfairem Verhalten, in stillem Trotz. Und dabei ist dann doch viel mehr verloren. Und Wichtiges, was auf den Tisch gehört, hat keine Chance.

Dahinter steckt ein eigentlich falsches Familienideal, das auf die Gemeinschaften in der Kirche, die Dienstgemeinschaften, die Gremien, die Kirchengemeinde angewendet wird. Brüder und Schwestern sollen sich vertragen, am besten einig

sein. Doch zum einen ist die Kirche nicht wirklich eine Familie, und zum anderen funktioniert ja eine Familie im Idealfall gerade so, dass sie Streit tragen kann, man sich unterschiedliche Meinungen sagt und dennoch zusammenhält.

Wie also umgehen mit Aggression, Ärger und Streit in der Kirche, in der es Konflikte übrigens von Anfang an gab?
Hören Sie von der Aufregung in der jungen Christenheit. Der Predigttext steht in der Apostelgeschichte des Lukas im 6. Kapitel, Verse 1-7 unter dem Titel:

Die Wahl der sieben Diakone

1 In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung. 2 Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen. 3 Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst.

4 Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.
5 Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia.
6 Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie. 7 Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem
. (…) (Apg 6, 1-7).

Liebe Gemeinde,

Streit in der christlichen Urgemeinde, so etwa 100 Jahre nach Christus. Die ersten Christinnen und Christen lebten in der Nachfolge Jesu miteinander in Gütergemein- schaft und waren, so heißt es anderer Stelle in der Apostelgeschichte: „…ein Herz und eine Seele“ (Apg 4, 32). „Sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern und hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen“ (Apg 2, 46).

Menschen also, die ein Herz und eine Seele sind, und bei denen gab es Unmut und einen Konflikt?
Es ist gut gegangen, damals mit dem Streiten, und dann in der Tat wurde es auch noch gut bzw. besser in der Jerusalemer Gemeinde.

Und vielleicht können wir den Text als Folie nehmen, wenn es zu Konflikten kommt unter Christen oder auch mit Anderen.

„Als die Zahl der Jünger und Jüngerinnen zunahm…“, die Kirche wuchs, ist es geschehen. Klar, denn wo es mehr werden, kommt es auch zu Spannungen. Und ganz besonders am Anfang, wenn da ein Hochgefühl ist und die Herzenstür sozusagen weit offen.

Unterschiedliche Persönlichkeiten kamen damals wie heute in der Gemeinde zusammen, verschieden in ihrem Fühlen, Denken und Glauben.
Jeder und jede will das Beste bzw. was er und sie für das Beste hält.

Aber damals erhob sich ein Murren“. Unzufriedenheit, Verstimmung, die noch halblaut ist, machten sich breit. Erst unter zweien, dreien und dann in der ganzen Gemeinschaft.
Ganz typisch eigentlich. Denn Konflikte brechen in der Regel nicht explosionsartig aus, sondern murren sich so langsam ins Bewusstsein, unser eigenes und dann auch der Anderen.

„Unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen…“ kam das Murren auf.
Sie alle waren zu Christen geworden, aber durch ihre religiösen Prägungen sehr verschieden in ihrem Verständnis, was im Glauben und in der Gemeinde wichtig sei. Und das ist ja überall so, wo sich Menschen begegnen.

Da gibt es schnell die einen und die anderen. Auch in der Gemeinde. Den einen ist das wichtig und sie möchten sich soundso engagieren, und die anderen wollen etwas anderes oder es anders haben.
Oder es wird jemand übersehen in dem, was er oder sie einbringen möchte oder braucht. Und wo das Herz dabei ist und so etwas Verwundbares wie der Glaube, dann kommt es rasch zu Enttäuschungen und Verletzungen, manchmal ohne, dass dies jemand will.

Die griechischen Judenchristen damals murren gegen die hebräischen, „weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung.
Und das traf ins Mark. Nicht allein, weil die Versorgung der zumeist mittellosen Witwen in der Gemeinde eine Ehrensache war und für die, die ohne weitere Familie aus dem fernen Griechenland gekommen waren, sogar lebensnotwenig. Sondern sie murrten auch, weil sie sich missachtet, ja übersehen fühlten, wie es heißt.

Und das darf nicht sein in der Gemeinde.
Im Geist Jesu hat jeder und jede Anerkennung verdient, auch im Streit.
Und wer im Vaterunser um das tägliche Brot bittet, die hungernde Witwe aber leer ausgehen lässt, verrät die Botschaft vom Reich Gottes.

Darauf legt Lukas der Arzt und Ethiker wert! Er ist unter allen Evangelisten derjenige, dem die Sozialkompetenz seiner Gemeinde am meisten am Herzen liegt.
Er fördert sie mit allen, ihm verfügbaren Mitteln. Die Beispielerzählung vom Barmherzigen Samariter, die vorher verlesen wurde, gibt es zum Beispiel nur bei ihm. Er überliefert sie in seinem Evangelium, weil es ihm so dringend wichtig ist für seine Gemeinde:

Im Geist Jesu achten und helfen wir einander, in der Gemeinde und darüber hinaus.

Wenn sich heute Menschen enttäuscht zeigen und abwenden, dann oftmals auch, weil sie übersehen werden, weil sie keine Lobby haben. Und durch die gesamte Geschichte hindurch waren das in besonderer Weise Frauen, die übersehen wurden und noch werden. Und das ganz besonders auch in der Kirche, in der es gerade sie sind, die so viele Dienste tun.

Übersehen konnte man die griechischen Witwen erst noch, überhören konnte man das Murren darüber allerdings nicht mehr.
Es findet Gehör als Signal, dass etwas nicht stimmt. Und dann wird eine Lösung gefunden.page3image5821456page3image3789200

Der Ärger wird nicht unterdrückt oder abgeurteilt, sondern ernstgenommen, ja aufgenommen. Und ein Missstand wird deutlich und kann abgestellt werden.
Ja, das Gemeindeleben wird durch den Diskurs wieder auf die Spur Jesu geführt, sich umeinander und um die am Rand zu kümmern.

Seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte!, heißt es unmittelbarDiese Sieben sollen die Verteilung gerecht organisieren, damit die Apostel bei der Lehre und dem Gebet bleiben können.
Jesus hätte wohl auch Frauen gewählt, um für das Recht zu sorgen und auch für die Lehre und das Beten, aber die Jünger sind da noch mehr Kinder ihrer Zeit und machen es, wie es damals üblicher ist, dass nämlich Männer die Leitung übernehmen – und eigentlich werden dadurch die Frauen auch wieder übersehen. Aber das verdient eine eigene Predigt über diese Geschichte.
Wichtig ist erstmal, dass das Klagen und er Ärger gehört werden und aus dem Streit eine Lösung entwickelt wird, was dann der Jerusalemer Gemeinde im Ganzen noch guttut:

Und „…das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem…“, so schließt die Geschichte.
Die Gemeinde wächst also sogar noch, nachdem der Streit gelöst ist. Letztendlich haben das Murren und der laut gewordene Ärger noch Positives bewirkt.

Und dass kennen wir ja aus eigener Erfahrung: wenn Spannungen schwelen und ein Konflikt unbearbeitet bleibt, hemmt das die Lebendigkeit. Das Herz bleibt verschlossen, es brodelt weiter in einem, man wird unwillig und auch zunehmend unsicher gegenüber dem anderen.

Doch diese Wuthitze kann sich verwandeln in Wärme und Energie, wenn man aufeinander hört, trotz aller Differenzen die Achtung behält, einander zuhört und miteinander spricht. Die Dinge können dann neu geordnet werden, man selbst vielleicht einen anderen Platz finden im Gefüge.

Als Kirche, Christinnen und Christen haben wir einen guten Grund und festen Boden unter den Füßen, um Spannungen miteinander zu klären und Lösungen zu finden, nämlich das Vertrauen zu Gott und den Respekt vor ihm. Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie…“, bevor es an die Tat ging.

Ein besonders berührender Moment in dem Ganzen:
Die Auseinandersetzungen finden Ruhe im gemeinsamen Gebet, und die neuen Schritte beginnen mit der Bitte um Gottes Segen. Denn von ihm und zu ihm sind ja alle Dinge, und jede und jeder – und eben auch meine Konfliktpartner und -partnerin – steht unter seinem Schutz. Mut und Demut, beides ist wichtig, damit das Streiten gut geht.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der wandle in uns alle Wut in Wärme, stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

(Pfarrerin Irmhild Ohlwein)