Predigt vom 12. Januar zum Nachlesen

Schriftlesung aus dem Prophetenbuch Jesaja mit Einführung:

Liebe Gemeinde,

wir hören auf ein Prophetenwort des Jesaja. Um es einordnen und verstehen zu können, muss man ein paar Hintergründe erzählen. Dafür habe ich Ihnen die Karte und das Bild auf dem Zettel mitgebracht. Es geht bei dem Prophetenwort um das Gebiet der israelitischen Stämme Sebulon und Naftali am Fuße der Golanhöhen im Norden des heutigen Israel. Im 8. Jahrhundert vor Christus war Israel in zwei Königreiche geteilt: Das Nordreich Israel mit der Hauptstadt Samaria und das Südreich Juda mit der Hauptstadt Jerusalem. Die nördlichste Region Sebulon und Naftali war also Teil des Nordreiches Israel. Die ganze Region war im 8. Jahrhundert in ihrer Unabhängigkeit bedroht von den Assyrern, dem mächtigsten Großreich im Osten im heutigen Gebiet des Irak. Der König von Israel wollte gemeinsam mit den Aramäern, den nordöstlichen Nachbarn gegen die Vormacht und den Vormarsch der Assyrer, vorgehen. Weil der König des Südreiches bei dieser Koalition nicht mitmachen wollte, rückten die Aramäer und das Nordreich Israel gegen das Südreich Juda militärisch vor, um den dortigen König Ahas durch einen neuen König zu ersetzen, der mit ihnen militätisch gemeinsame Sache machen sollte. Der Prophet Jesaja beurteilt von Jerusalem aus diese politische Taktiererei mit Assur ganz realistisch und sagt dem nördlichen Königreich dessen Untergang voraus, aus der Perspektive Jerusalems, dem Konfliktpartner und zugleich doch verbrüderten Königreich. Er warnt seinen König: Hör auf die Weisung Gottes und bleibe ruhig.

Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:12_staemme_israels.png

Jesaja 8, 5-8 und 20-23

Und der HERR redete weiter mit mir und sprach: 6 Weil dies Volk verachtet die Wasser von Siloah, die still dahinfließen, und Freude hat an Rezin und dem Sohn Remaljas, 7 darum wird der Herr über sie kommen lassen die starken und vielen Wasser des Stromes, nämlich den König von Assyrien und alle seine Macht. Der Strom wird alle seine Kanäle überfluten und über alle seine Ufer treten. 8 Und er wird einbrechen in Juda und es überschwemmen und überfluten, bis er den Menschen an den Hals reicht. Und seine ausgebreiteten Flügel werden dein Land füllen, so weit es ist, o Immanuel.  …

20 Hin zur Weisung und hin zur Offenbarung! Werden sie das nicht sagen, so wird ihnen kein Morgenrot scheinen, 21 sondern sie werden im Lande umhergehen, hart geschlagen und hungrig. Und wenn sie Hunger leiden, werden sie zürnen und fluchen ihrem König und ihrem Gott, und sie werden über sich blicken 22 und unter sich die Erde ansehen und nichts finden als Trübsal und Finsternis; denn sie sind im Dunkel der Angst und gehen irre im Finstern. 23 Doch es wird nicht dunkel bleiben über denen, die in Angst sind. Hat er in früherer Zeit in Schmach gebracht das Land Sebulon und das Land Naftali, so hat er hernach zu Ehren gebracht den Weg am Meer, das Land jenseits des Jordans, das Galiläa der Heiden. 

Predigt

Sie werden über sich blicken und unter sich die Erde ansehen und nichts finden als Trübsal und Finsternis; denn sie sind im Dunkel der Angst und gehen irre im Finstern. 

Liebe Gemeinde,

Jesajas Vorhersage des Untergangs der Region von Sebulon und Naftali hatte sich in der Tat erfüllt. Seine Wort beschreiben auch 760 Jahre später noch ein Trauma dieser Region, denn auch in der Zeit Jesu hat man sich noch daran erinnert, was sich am Fuße der Golanhöhen ereignet hatte.

Durch die Eroberung durch die Assyrer war im Rückblick für eine Zeit lang der Glaube an den einen Gott Israels verdrängt worden. Noch immer erinnert man sich also auch zur Zeit Jesu noch an den Titel „Galiläa der Heiden“ im Unterschied zur Region Samaria, wo noch Juden lebten.

Der Süden mit der Hauptstadt Jerusalem sollte etwa 150 Jahre später sein Trauma erleben: Die Eroberung und Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier.

Ein Trauma bewirkt, dass man eine Situation, die der traumatischen auch nur entfernt ähnelt, so erlebt, als erlebe man diese grundlegende traumatische Situation erneut. 

Sowohl die Realitäten im Nordreich, wie auch im Südreich waren zwischendurch und auch zur Zeit Jesu ganz andere: Wechselnde Besatzungen durch die Perser und die Griechen, am Ende durch die Römer, wechselten sich ab mit Zeiten relativer Souveränität. Die Ägypter spielten sowieso schon immer eine Rolle, die Phönizier waren auch immer präsent, so wie die aramäischen Nachbarn auch.

Eine Vielzahl geschichtlicher Erfahrungen sind gemacht worden, darunter auch sehr gute, aber für diese Region im Norden, spielte das Ereignis um 732 v. Chr. eine besondere Rolle. Bedrohungen und Besatzungen verschiedenster Art haben sich im Laufe der Zeit auf dieses Trauma aufgetürmt, so dass es immer eine Brille geblieben ist, durch die die Vergangenheit angeschaut wird.

In vielerlei Hinsicht haben solche Traumata bis heute ihre Wirkung – allerdings verstärkt und weit überboten durch neue Traumata des letzten Jahrhunderts, ausgehend von unserem Land.

Es ist ungeheuer schwer, angesichts der heutigen Situation in Nordisrael, in Syrien und im Libanon über biblische  Traumata zu reden, ohne in größte Konflikte zu geraten – das haben Traumata an sich, vor allem, weil sie bis heute in der Region eine Rolle spielen.

Sie werden über sich blicken und unter sich die Erde ansehen und nichts finden als Trübsal und Finsternis; denn sie sind im Dunkel der Angst und gehen irre im Finstern.

Jesaja findet Worte, die ein Trauma beschreiben, sogar eines, dass im Laufe der Geschichte immer größer wird und ganz Israel betrifft, aber: Jesaja bleibt eigentlich nicht beim Trauma stehen, sondern er beschreibt auch einen Weg in hellere Zeiten und öffnet die Perspektive zur Überwindung des Traumas:

23 Doch es wird nicht dunkel bleiben über denen, die in Angst sind. Hat Gott in früherer Zeit in Schmach gebracht das Land Sebulon und das Land Naftali, so hat er hernach zu Ehren gebracht den Weg am Meer, das Land jenseits des Jordans, das Galiläa der Heiden. 

In der Zeit nach Weihnachten kommt Ihnen der Text vielleicht schon relativ bekannt vor: Doch es wird nicht dunkel bleiben …

Der Evangelist Matthäus hat sich auch an diesen Jesajatext erinnert und er greift auf ihn zurück – diesmal nicht für die Geburtsgeschichte Jesu, sondern für das erste öffentliche Auftreten Jesu als erwachsener Mann.

Hören Sie einmal, wie Matthäus dies schildert:

Matthäus 4, 12-17 (18-19)

12 Da nun Jesus hörte, dass Johannes gefangen gesetzt worden war, zog er sich nach Galiläa zurück. 13 Und er verließ Nazareth, kam und wohnte in Kapernaum, das am Galiläischen Meer liegt im Gebiet von Sebulon und Naftali, 14 auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten Jesaja, der da spricht: 15 »Das Land Sebulon und das Land Naftali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordans, das Galiläa der Heiden, 16 das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen im Land und Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen.« 17 Seit der Zeit fing Jesus an zu predigen und zu sagen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!

18 Als nun Jesus am Galiläischen Meer entlangging, sah er zwei Brüder, Simon, der Petrus genannt wird, und Andreas, seinen Bruder; die warfen ihre Netze ins Meer; denn sie waren Fischer. 19 Und er sprach zu ihnen: Kommt, folgt mir nach!

Liebe Gemeinde,

Matthäus möchte den Beginn des Wirkens Jesu verknüpfen mit der Wende zum Guten nach einem Trauma – so wie Jesaja es schon angekündigt hatte.

Dass Jesus in diese Region geht ist für Matthäus kein Zufall: Das Licht der Welt, wie Christus bezeichnet wird,  beginnt sein Wirken dort, wo die Finsternis des Traumas einen seiner Anfänge nahm.

Und er beginnt es ganz im Sinne des Jesaja:

„Hin zur Weisung und hin zur Offenbarung“ hatte Jesaja gerufen: Die Menschen sollten sich weg von hektischen und taktischen Überlegungen neu ausrichten auf Gottes Wort: Was ist im Leben und für das Leben in aller Grundsätzlichkeit wichtig?

Die Menschen sollten sich von der Angst weg hin zum Vertrauen neu ausrichten: An anderer Stelle sagt Jesaja: Wenn ihr nicht vertraut, dann bleibt ihr nicht.

Jesaja spricht ja auch gar nicht davon, dass, wenn man glaubt, die Katastrophe gar nicht kommt.

Sie kommt höchstwahrscheinlich sowieso, das war ihm auch im 8. Jahrhundert schon klar, aber Jesaja will, dass das Volk sich sogar trotz der bevorstehenden Katastrophe auf das Vertrauen in die Zukunft ausrichtet.

Das alles finden wir wieder in Jesu kurz zusammengefasster Predigt: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe.

Tut Buße – das bedeutet: richtet euren Sinn neu aus!

Haltet an, einen Moment, besinnt euch auf das, was euch wichtig ist, lasst euch nicht gefangennehmen von den Traumata der Vergangenheit oder bevorstehenden Katastrophen, habt Vertrauen in eine Zukunft, auch wenn sie nicht unmittelbar eine gute Zukunft ist: Das Himmelreich ist nahe – vielleicht nicht morgen, und auch nicht übermorgen, aber dann: Zeit und Stunde weiß nur Gott, aber das Himmelreich kommt.

Das ist das eine, das Jesus tut zu Beginn seines Wirkens: Er spricht von der Wende im Geist, vom Loslösen aus den Traumata, vom Ende der Gefangenschaft in schlimmsten Erwartungen, vom Erwarten der Zukunft Gottes.

Das andere ist etwas ganz praktisches: Er geht zu Simon und Andreas, er spricht sie an, holt sie dazu und bewirkt, dass sie mit ihm loslaufen: Folgt mir nach.

Das Leben von Simon und Andreas wird unmittelbar ein anderes: Sie lassen die Netze liegen und gehen mit, in ein unbekanntes neues Leben, hin zur Offenbarung eines Gottes, der ihnen näher kommt als je zuvor, ihnen nichts erspart und doch alles schenkt, hin zu einer Weisung, die sie nicht immer in allem verstehen, der sie aber dennoch vertrauen.

Tut Buße, richtet euch neu aus, löst euch von erstickenden Vergangenheiten, lasst euch ein auf eine unerwartete Zukunft, die Gottes Zukunft sein wird.

Das ist eine Botschaft, die uns in Verantwortung nimmt auf der Schwelle zwischen Vergangenheit und Zukunft, Buße zu tun, anzuhalten, und gegen manche Erfahrung die gute Zukunft zu erwarten und auf sie zuzulaufen, nicht blind, aber voll Vertrauen.

Amen