Gottesdienst vom 20.02.2022 zum Lesen und Hören

Hier können Sie den Gottesdienst vom 20.02 2022 mit Pfr. Till Jansen und Kantor Juergen Bonn hören (ab etwa 12.30 Uhr):

Eingangsliturgie
Predigt
Ausgangsliturgie

Hier können Sie die Schriftlesungen und die Predigt nachlesen:

Predigt vom 2. Sonntag vor der Passionszeit, 20.02.2022, Pfr. Till Jansen

Schriftlesungen 

2. Samuel 12, 1-7

Und der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. 2 Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; 3 aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt’s wie eine Tochter. 4 Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er’s nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war. Und er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war. 5 Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! 6 Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat. 7 Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann!

Lukas 5, 18-25

Und siehe, einige Männer brachten einen Menschen auf einem Bett; der war gelähmt. Und sie versuchten, ihn hineinzubringen und vor ihn zu legen. 19 Und weil sie wegen der Menge keinen Zugang fanden, ihn hineinzubringen, stiegen sie auf das Dach und ließen ihn durch die Ziegel hinunter mit dem Bett mitten unter sie vor Jesus. 20 Und als er ihren Glauben sah, sprach er: Mensch, deine Sünden sind dir vergeben. 21 Und die Schriftgelehrten und die Pharisäer fingen an zu überlegen und sprachen: Wer ist der, dass er Gotteslästerungen redet? Wer kann Sünden vergeben als allein Gott? 22 Als aber Jesus ihre Gedanken erkannte, antwortete er und sprach zu ihnen: Was denkt ihr in euren Herzen? 23 Was ist leichter, zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf und geh umher? 24 Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat auf Erden, Sünden zu vergeben – sprach er zu dem Gelähmten: Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim! 25 Und sogleich stand er auf vor ihren Augen und nahm das Bett, auf dem er gelegen hatte, und ging heim und pries Gott.

Predigt 

Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. (Hebräer 4, 12)

Liebe Gemeinde, 

diese Beschreibung des Wortes Gottes schreckt ab. Mir fällt ein Erlebnis eines Freundes ein, der sich aus Interesse mal ein japanisches Schwert angeschaut hatte. Er hat es geschärft und zum Testen an einen Ast seiner Hecke geschlagen. Nachdem der Ast einfach wie Butter durchgeschnitten herunterfiel, hat er das Schwert lieber wieder weggeschlossen. Es war ihm schlicht zu gefährlich. Seine Kinder sollten es lieber nicht in die Hände bekommen. 

Zweischneidig soll das Schwert-Gottes-Wort sein, kräftig und lebendig, scharf. Wer will so etwas schon bei sich haben? Wer will damit schon umgehen? Egal an welcher Seite man es anfasst: Es schneidet ein. Ein lebendiges Schwert ist auch nicht so einfach an der Klinge zu fassen, oder zu kontrollieren. Und wenn es dazu noch kräftig ist, dann kann ich mich vielleicht auch schlecht wehren. Es scheidet Seele und Geist, Mark und Bein, es richtet! 

Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft geben müssen. (Hebr. 4, 13)

Wenn ich das höre, dann folgt recht schnell der Impuls, auch das Wort Gottes wegzuschließen. Es klingt zu schmerzhaft, ich bin zu bloßgestellt, zu sehr „zerlegt“. 

Mit den Liedstrophen, die wir eben gesungen haben, möchte ich dem Text und seiner Wahrheit mit ihnen und euch aber doch nachgehen, auch wenn die militärische Sprache des Hebräerbriefes abschreckt. 

Du Wort der Wahrheit, lautrer Quell, mach unsre dunklen Augen hell, dass wir die Wege Gottes sehn und in der Welt nicht irregehn. (EG 571, 3)

Wahrheit. Erkannte und ausgesprochene Wahrheit wirkt so wie dieses zweischneidige Schwert. Egal, wie man es dreht und wendet: sie geht durch, sie schneidet, sie trifft. 

Wahrheit hat etwas unausweichliches und bloßstellendes. 

Ich habe vor kurzem eine Serie gesehen, in der ein Mann ungeschönte und radikale Wahrheiten ausspricht – schonungslos. Es ist interessant, wie diese Wahrheiten auf seine Umwelt wirken, was sie auslösen, aber auch, wie sie ihn vereinsamen lassen. In der Fernsehserie wird bald deutlich, dass die Wahrheit nicht so verfügbar ist, wie die Hauptfigur es meint und dass die Schlussfolgerungen, die er aus ihr zieht nicht dieselben sein müssen, die andere aus ihr ziehen. Wahrheiten treffen uns, je persönlich dich und mich, aber sie ist von uns aus nicht objektiv zu greifen. 

Mit dem Begriff der Wahrheit wird gehandelt, es wird um sie gestritten. Sie wird behauptet, um Dinge durchzusetzen. Wer kann schon wirklich gerade beurteilen, was in der Ukraine geschieht? Wahrheiten stehen im Raum, verschieden empfunden und erlebt auf verschiedenen Seiten. Vermeintliche Wahrheiten werden auch behauptet aus taktischen Gründen, es wird mit Sicherheit auch schlicht gelogen: und wo liegt die Grenze zwischen all dem? 

Dass das nicht so leicht zu unterscheiden ist, macht das Problem so unauflöslich. 

Julius Sturm, der den Text des Liedes geschrieben hat, spricht von der Wahrheit, die in Gottes Wort liegt, während unsere Augen dunkel sind.

Du Wort der Buße, füll das Herz uns an mit tiefem Reueschmerz, dass unser Flehn und Seufzen sei: Gott, steh uns armen Sündern bei. (EG 571,4)

Das Wort der Wahrheit Gottes steht gegen uns. König David hat dieses Wort der Wahrheit gegen sich gehört: Du bist der Mann!. Du bist der ungerechte, der von außen betrachtet, sich selbst das Urteil spricht: Er ist ein Mann des Todes. Diese Anklage: Du bist der Mann! ist das Wort, das wir fürchten und zugleich wissen, dass es stimmt. Diese Anklage bewirkt den Impuls: Das Wort Gottes schließe ich lieber weg, denn es seziert mein Leben, es macht mich nackt und verwundet. Jede behauptete Wahrheit, die ich mir selbst eingeredet habe oder der ich auf den Leim ging, jede Lüge, jedes Handeln gegen den anderen liegt offen da. 

Ein zweischneidiges Schwert, das alles offenlegt, ein Richter der Gedanken und des Herzens. 

Aber was geschieht, wenn ich ein solches Wort Gottes, das mich auf diese Weise trifft, wegschließe? 

Das Wort bleibt scharf, aber ich spüre es nicht mehr. Vielleicht spüre ich gar nicht, wie Geist und Seele sich trennen, Mark und Bein sich entzweien. 

David bereut sein Handeln, in seinem Leben gibt es größten Schmerz, aber er findet zum Leben und zur Gemeinschaft zurück, auch wenn es echte Wiedergutmachung nicht geben kann. 

Du Wort der Gnade, tröstend Wort, o bring und Botschaft fort und fort von ihm, der für uns litt und starb und uns Gerechtigkeit erwarb. (EG 571,5)

Ein Wort reicht Jesus, um dem Gelähmten das Heil zu schenken, sowohl das körperliche, denn er nimmt sein Bett und geht, als auch das geistliche, denn die Zerissenheit seines Lebens, sein eigenes inneres Entzweitsein, sein Verschließen des Wortes Gottes wird in diesem einen Satz gelöst: Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim!

Dieser eine Satz reicht, um den Pharisäern und Schriftgelehrten, die um die Wahrheit streiten, anzuzeigen, wie Jesus richtet über die Gedanken und Herzen. Wenn Gott von Vergebung spricht, dann können die Pharisäer sie dem anderen nicht absprechen. Das Wort von der Vergebung soll fort und fort, also immer wieder auch zu mir gesprochen sein, denn auch ich brauche dieses Wort, wenn ich mich dem anklagenden Wort Gottes und auch meiner eigenen Anklage gegen mich aussetze. 

Wir alle leben in der Spannung, dass wir das Wort der Wahrheit suchen, uns von ihr treffen lassen, uns irren, uns aufbauen lassen, uns vergewissern. 

Wir leben mit dem Schmerz der Anklage, die unser Herz bereuen lässt, wir leben mit dem Wort der Gnade, dass wir aus Vergebung leben und selbst vergeben sollen. 

Die Wahrheit des Wortes, dieses zweischneidige Richter-Schwert bleibt also besser Gottes Wort und wird nicht das unsere. Auch deshalb leben wir aus Glauben und nicht aus Wissen, denn die Wahrheit Gottes, die am Ende eine Wahrheit ist und nicht viele, können wir nicht fassen und mit ihr umgehen schon gar nicht. Die Botschaft, die wir immer wieder hören müssen ist ja nicht, dass das zweischneidige richtende Schwert kommt mit seiner alles aufdeckenden Klinge, sondern, dass es in der richtigen Hand liegt. Die Wahrheit ist das eine. Die Liebe ist das größere. 

Was uns leben lässt in Hoffnung ist nicht die Aussicht auf die vollkommene Wahrheit, so sehr sie nötig ist. 

Was uns in Hoffnung leben lässt ist die Aussicht auf die Vollkommenheit der Liebe. 

Du Wort des Glaubens, gib uns Kraft, dass wir der Eitelkeit entrafft, im gnädig dargebotnen Heil ergreifen unser ewges Teil. (EG 571,6) 


Amen