Predigt von Pfarrerin Petra Fuhrhans zum Sonntag Palmarum, 4. April 2020

Predigttext Palmarum 2020 (Mk. 14, 1-9)


Hier gibt es die Liturgie zum Nachlesen.


Der Plan der Hohenpriester und der Schriftgelehrten

1 Es waren noch zwei Tage bis zum Passafest und den Tagen der Ungesäuerten Brote. Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten suchten, wie sie ihn mit List ergreifen und töten könnten. 2 Denn sie sprachen: Ja nicht bei dem Fest, damit es nicht einen Aufruhr im Volk gebe.

Die Salbung in Betanien

3 Und als er in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt. 4 Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? 5 Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. 6 Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. 7 Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. 8 Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis. 9 Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.


Liebe Gemeinde,

denn die sind wir ja, auch, wenn wir nicht zusammen sein können.
Die Geschichte der Salbung in Bethanien ist eine meiner Lieblingsgeschichten und, obwohl alles so klar und eindeutig erscheint, lohnt es sich, sie ein wenig näher zu betrachten. Ich möchte das tun, indem ich die einzelnen Beteiligten zu Wort kommen lasse.

Zunächst die Frau, über die wir kaum etwas wissen.

„Da braut sich was zusammen. Ich habe sie tuscheln gehört, die Pharisäer und die Schriftgelehrten. Wo immer Jesus ist, sind sie auch. Sie stehen am Rande und reden miteinander. Ich weiß nicht, was sie planen, aber ich bin sicher, sie führen nichts Gutes im Schilde. Ihre Gesichter sind grimmig. Er passt ihnen nicht. Er nicht und seine Botschaft auch nicht. Sie wollen ihn zum Schweigen bringen, aber nicht während des Festes. Sie fürchten das Volk, denn das Volk steht auf seiner Seite. Sie hören ihm zu auf den Plätzen, in den Straßen. Wo er geht und steht, versammeln sich die Menschen. Das, was er erzählt, reißt sie mit. Seine Geschichten und Gleichnisse rühren mich an. Er verkündet Gottes Reich und mehr noch Gottes Liebe zu den Menschen. Gott liebt die Menschen: die Kinder, die Erwachsenen, die Frauen, die Männer, die Ausgestoßenen, die Verachteten, sogar die, mit denen keiner sonst etwas zu tun haben will. Das gefällt ihnen nicht. Ich finde seine Botschaft wunderbar. Da ist endlich mal einer, der nach uns fragt in einer Zeit, wo doch immer nur die Reichen, die Politiker und Kirchenmenschen entscheiden. Uns fragt ja sonst keiner. Er schon. Er nimmt uns ernst, verwendet Beispiele und Worte, die wir verstehen. Er wertet uns auf. Es sagt sogar, dass es uns Armen und Verachteten möglich sein wird, in Gottes Reich zu kommen.
Ich möchte ihm etwas Gutes tun, ihm einen Dank, eine Anerkennung zukommen lassen, einen Dienst erweisen. Es muss aber etwas ganz Besonderes sein.
Ich habe auch schon eine Idee, wie das aussehen kann. Ich habe einen Schatz zuhause. Es ist eine kleine Flasche Nardenöl. Sie hat meiner Mutter gehört. Ich habe es gut aufbewahrt. Damit will ich ihm Gutes tun. Das hat er verdient. Wer, wenn nicht er? Es wird ihn glücklich machen. Es wäre schön, wenn ich ihn so glücklich machen könnte, wie ich es über seine Worte bin! Er wird es brauchen bei dem, was ihm bevorsteht.“

Dann natürlich Simon, den Aussätzigen.

„Lauft, lauft, lauft schnell. Bereitet alles vor! Haben wir noch Kissen? Nein, nicht die, sondern die schönen bunten und die passenden Decken dazu. Ist das Kalb schon geschlachtet? Haben wir genug Wein? Sind auch Süßigkeiten da? Obst und Kuchen?
Heute haben wir nämlich wichtige Gäste. Jesus kommt zu Besuch. Jesus und seine Jünger. Es wird das zweite Mal sein, dass ich ihn sehe. Beim ersten Mal habe ich mich vor ihm versteckt. Da war ich sehr krank. Ich litt an Aussatz und war auf dem Weg zum Tal der Aussätzigen. Es sollte die Endstation meines Lebens werden. Um meine Familie zu schützen, habe ich sie verlassen. Es ist besser ich sterbe allein als mit Ihnen zusammen, und so habe ich mitten in der Nacht mein Bündel gepackt und mich auf den Weg gemacht. Vorschriftsmäßig habe ich vor mir gewarnt und ‚Aussatz, Aussatz!‘ geschrien. Alle sind mir ausgewichen. Alle, außer einem. Er ist einfach stehen geblieben. ‚Was kann ich für dich tun?‘ hat er gefragt. ‚Mach, dass ich heil werde!‘ war meine Antwort.
Er hat es wirklich getan. Er hat mich angefasst, ist mir nicht ausgewichen, hat mich berührt, und ich wurde heil.
Ich bin dann zu den Priestern gegangen und habe mich gezeigt. Danach war ich noch einige Tage in Quarantäne. Dann durfte ich nach Hause zurück.
Von der Krankheit ist nichts geblieben, außer meinem Beinamen ‚Simon der Aussätzige‘. Eigentlich müsste es ‚Simon der geheilte Aussätzige‘ heißen. Aber das ist mir egal. Ich bin gesund und das zählt.
Heute wird er mein Gast sein und ich kann ihm danken für alles, was er an mir getan hat. Ich habe alle unsere Freunde und Verwandten eingeladen. Seit Stunden schon bereiten wir alles vor. Es muss ein unvergesslicher Abend für alle werden. Dafür werde ich schon sorgen.
Los Leute, beeilt euch! Er wird bald hier sein.“

Und auch die Kritiker, die sich wie immer umgehend zu Wort melden und die wie immer in solchen Situationen alles besser wissen.

„Unverschämt, einfach unverschämt. Als wir gestern bei Simon dem Aussätzigen zu Abend gegessen haben. – Es gab Kalb und viele andere gute Sachen. – Da ist doch eine völlig fremde Frau hereingekommen. Also eingeladen war die nicht. Ganz bestimmt nicht. Gut gekleidet war sie auch nicht. Dabei war es ein sehr festliches Abendessen.
Also, sie kommt einfach rein, sagt kein Wort, geht auf Jesus zu, stellt sich hinter ihn, nimmt ein kleines Fläschchen Öl, zerbricht es und gießt ihm das Öl auf den Kopf. Ein wunderbarer Duft breitet sich aus. Nardenöl. Eindeutig. Das habe ich lange nicht gerochen. Das kostspieligste Öl, das es gibt, Königen vorbehalten! Im Raum ist alles still. Sanft, zärtlich streicht sie ihm über das Haar, summt eine kleine Melodie, berührt ihn, verteilt das Öl in seinem Haar. Alle blicken sie an, aber sie sieht nur auf ihn. Warum tut sie das? Haben die was miteinander? Hat der Mensch Töne! Nardenöl! Was Teureres konnte die wohl nicht auftreiben? Was das wohl gekostet haben mag?‘ Jetzt reden alle durcheinander und sind sich trotzdem erstaunlich schnell einig. Dieses Öl hätte man nicht verschwenden dürfen. Man hätte es teuer verkaufen können. Dann hätte man dieses Geld für die Armen verwenden können. Wie viel Elend hätte man damit verhindert? Wie viele Leben damit hätte retten können? Einer der Gäste fasst die Frau an der Schulter und schüttelt sie. ‚Bist du verrückt geworden?‘ Am liebsten würde ich ihr die gleiche Frage stellen. Wie blöd ist das denn?
Ich erschrecke, sehe mit einem Mal die Tränen in ihrem Gesicht! Es verwundert mich. Weiß sie etwas, was wir nicht wissen oder haben wir sie einfach nur so sehr verletzt?“

Und Jesus, der sich gezwungen sieht, die Frau in Schutz zu nehmen.

„Lasst sie in Ruhe! Ich will nicht, dass ihr sie angreift. Sie hat ein gutes Werk getan. Was bekümmert ihr sie? Was beschämt ihr sie? Da kann man nur verständnislos den Kopf schütteln.
Sie kapieren es einfach nicht! Und das macht mich traurig.
Ja, man soll den Armen geben. Das ist gut. Es hat ja lange genug gedauert, ihnen das beizubringen, und ich habe es ihnen oft genug gesagt.
Aber es ist auch gut, wenn man selbst bedacht wird. Unzählige Male habe ich Menschen Gutes getan, das hat ihnen gefallen, und kümmert sich mal jemand um mich, ruft das gleich die Kritiker auf den Plan.
Ich bin traurig um ihretwillen, der Frau willen und um meinetwillen.
Es tut gut, wenn mir jemand etwas Gutes tut. Ich möchte es einfach annehmen dürfen und genießen.
Ich kann es brauchen, denn ich habe einen schweren Weg vor mir, und niemand wird mich begleiten. Ich werde sterben für sie alle. Wie oft soll ich Ihnen das noch sagen? Ich werde getötet werden. Deshalb ist diese Frau für mich so wichtig. Weil sie es weiß oder zumindest ahnt und weil sie mich stärkt.
Man wir ihrer gedenken! Soviel ist klar. Man wird ihrer gedenken überall und immer, wenn das Evangelium gepredigt wird. Was sie getan hat, soll niemand jemals kleinreden.“

Zuletzt kommen wir zu Wort. Wir, jetzt und heute.

Hat uns diese Geschichte noch etwas zu sagen? Spricht sie in unsere Situation? Zunächst einmal nicht. Schließlich gibt es im Moment keine Feiern und keine gemeinsamen Abendessen, und Salbungen sind auch nicht möglich und ohnehin ziemlich aus der Mode gekommen. Wir sitzen auch nicht mit Jesus an einem Tisch; zumindest nicht leibhaftig. So gern wir es würden, aber auch das wäre im Moment verboten.
Mit Simon dem Aussätzigen können wir uns vielleicht identifizieren. Sich aussätzig fühlen, ist gerade nicht so schwer. Da wechseln Menschen die Straßenseite, wenn man ihnen entgegenkommt, da rücken liebe Freunde von einem ab, da gibt einem keiner mehr die Hand, als wäre man aussätzig. Und dass jemand vor Freude über seine Heilung und seine Reintegration in die Gesellschaft ein Fest gibt und seinen Retter einlädt, das ist verständlich und ich denke, wir werden ja auch feiern, wenn dies hier alles vorbei ist und wir es wieder dürfen.
Wir können uns sicher auch mit den Kritikern identifizieren. Es ist noch gar nicht so lange her, da hat es einen großen Aufschrei gegeben, weil Menschen und Firmen für den Wiederaufbau der abgebrannten Kathedrale von Notre Dame in Paris gespendet haben. „Wie viele Menschenleben hätte man mit diesem Geld retten können?“, hieß es da immer wieder. Und dann wurde hin und her gerechnet wie im Gleichnis auch. Die Argumentation glich der in unserer Geschichte. Muss man wirklich eine Kirche wiederaufbauen? Wozu brauchen wir sie? Für Gott und ein bisschen natürlich auch für die Menschen. So herum zumindest würde ich es sehen.
Etwas nur für Gott tun, wie unsinnig ist das denn? Die Kritiker damals hielten es für unsinnig und die Menschen heute tun das auch. Und deshalb wird Kirche immer wieder belächelt. Ja, Diakonie, das ist etwas Handfestes, und das ist natürlich auch Kirche, aber Kirche mit agendarischen, den althergebrachten Gottesdiensten und so, was soll uns das denn bringen? Das braucht kein Mensch. Könnte man meinen. Aber das ist falsch: Ich brauche sie und Sie brauchen sie, und Gott braucht sie auch, und deshalb feiern wir auch in dieser Zeit und unter ganz anderen Bedingungen Gottesdienste: um Gottes Willen im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Frau tut etwas für Jesus, weil sie um seine Bedeutung weiß. Sie tut es nur für ihn und für niemanden anders. Das bewundere ich an ihr. Diese Hingabe!
Wir hingegen haben Gott gerade absolut hintenangestellt. Keine Gottesdienste, keine Andachten, keine Gebete, als ob das alles nur für die Menschen wäre.
So zumindest schien es im ersten Moment. Ja, wir wollen die Menschen schützen, und das ist gut und richtig, aber da gibt es noch diese andere Seite.
So langsam kommen wir übrigens darauf, und es wird wieder gebetet, und es werden wieder Gottesdienste gefeiert, wenn auch in anderer Form, z.B. mit Menschen, die zu Hause mit- und nachlesen. „Unsinn“, werden so manche dazu sagen, aber ich sage mit der Frau aus der Geschichte etwas völlig anderes.
Sich Gott zuwenden, das geht auch im Gebet. Aber warum sollten wir das tun? Warum beten wir? „Das bringt ja doch nichts!“ so hört man es immer wieder. Sollten wir nicht lieber handeln, die Welt verbessern, aktiv werden? Christen beten, weil sie glauben, dass Gott sie hört und dass er etwas ändert, dass er hilft, unterstützt und stärkt. Das ist ja keine Alternative: beten oder handeln. Es ist immer beides!
Gott dienen und den Menschen, das ist unsere Aufgabe. Und das ist jetzt kein Widerspruch: Tun, was Gott will, ist das erste, aber dazu gehört als zweites immer, den Menschen zu helfen. „Ora et labora“, an dem Wahlspruch der Benediktiner ist durchaus etwas dran, auch etwas Entlastendes. Das Gebet entlastet uns. Wir müssen die Welt nicht retten, dürfen sie mit allen ihren Problemen Gott anvertrauen und dann können wir die Ärmel hochkrempeln und etwas dafür tun, dass sie besser wird. Und wem das mit dem Anpacken schwer fällt, der betet einfach und ermutigt und unterstützt andere und leistet damit seinen Beitrag.
Insgesamt tun wir gut daran, uns Gott wieder mehr zuzuwenden.
Jesus ist immer noch da, und wir können ihm Gutes tun im Moment am besten mit Gebeten und mit dem Sich-Einlassen auf ein (hoffentlich lebenslanges) lebendiges Gespräch mit Gott.

Und er Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.