Predigt vom 08. November 2020 zum Nachlesen

von Pfr. Till Jansen

Ein erster Ausblick auf den Tag des Herrn aus unserer Zeit: 

„Himmlischer Vater, wir kommen heute zu dir, und wir danken dir für diese Nation, die 1776 geboren wurde. Wir beten 2020 darum, dass diese Nation neu geboren wird. Herr, wir danken dir: Amerika brauchte keinen Prediger im Oval Office, es brauchte nicht einmal einen professionellen Politiker im Oval Office, es brauchte einen Kämpfer, einen Champion der Freiheit, und Herr, genau den haben wir bekommen. 

In der Mitte brauchen wir deine Hilfe, o Gott, in der Mitte der Schlacht brauchen wir neue Kraft. Sende also deine Kraft und Gegenwart, dass sie den Präsidenten erfülle, zeige ihm, wer du bist, deine Liebe und die Liebe der Menschen, und Gott, tue etwas so großes in ihm und in unserem Land, dass alle Fernsehexperten und Nachrichtensprecher erstaunt darüber sind, wie groß Amerika ist, denn Gott ist wieder groß in Amerika. In Jesu Namen beten wir. 

Vater, lass dein Reich anbrechen. Lass deinen Willen geschehen, wie im Himmel, so auf Erden. Vater, ich bete für unseren Präsidenten um Zielstrebigkeit. Ich bete für ihn, dass er die Gegner in der Welt herausfordert und ihnen die Stirn bietet und dass er die Feinde in dieser Nation herausfordert und sich ihnen widersetzt. 

Wir bitten dich, Vater, dass er der Kyros ist, der die Wiederherstellung, der Veränderung in diese Nation bringt. Und alle Völker der Welt werden sagen, Amerika ist die größte Nation der Erde.“ (Übersetzt aus CNN Fernsehübertragung)

Ein zweiter Ausblick auf den Tag des Herrn aus dem 18. Jahrhundert: 

Wir warten dein, o Gottes Sohn, und lieben dein Erscheinen. Wir wissen dich auf deinem Thron und nennen uns die Deinen. Wer an dich glaubt, erhebt sein Haupt, und siehet dir entgegen, du kommst uns ja zum Segen. 

Wir warten deiner mit Geduld in unsern Leidenstagen, wir trösten uns, dass du die Schuld am Kreuz hast abgetragen. So können wir nun gern mit dir uns auch zum Kreuz bequemen, bis du es weg wirst nehmen. (EG 152)

Liebe Gemeinde, 

zwei Ausblicke auf den Tag des Herrn. 

Der erste Ausblick: ein Gebet evangelikaler Pfarrer für Donald Trump zu Beginn diesen Jahres. Mit ihm und dank ihm, soll das Reich Gottes anbrechen für Amerika und sollen die Feinde besiegt werden, wofür man Gottes Kraft braucht für die nächsten vier Jahre. 

So wie Jesaja sich die Völkerwallfahrt zum Zion vorstellte, so soll die Erde in unseren Tagen Amerika als Zentrum des Gottesreiches erkennen. Seit gestern Abend scheint es sicher zu sein, dass diese Hoffnung einiger Gläubiger – zum Glück – sich so nicht erfüllen wird. 

Der zweite Ausblick war der Text des Wochenliedes, das wir auch schon als Lied gehört haben. Da ist nicht viel von „Größe“ die Rede: Vielmehr von Trost und Segen, vom Kreuz, das Schuld vergibt und vom Kreuz, das man auf sich nehmen muss. Und irgendwann, nach diesen Leidenstagen, wird Freude und ein herrliches Leben bei Jesus geschenkt werden, so der Dichter Philipp Friedrich Hiller 1767. 

Der Tag des Herrn. Ein uraltes aber auch schwieriges Kapitel in der Geschichte des Glaubens und der Kirche, ein schwieriger Gedanke, der bei aller scheinbaren Vertrautheit uns oft genug auch sehr fremd ist. 

Der Tag des Herrn, das letzte Gericht, die Auferstehung der Toten, der endgültige Anbruch des Reiches Gottes: In der frühesten Christenheit hat man gedacht, dass das alles ganz unmittelbar bevorsteht. Paulus rechnet damit: Der Tag der Wiederkunft des Herrn, der Tag der letzten Posaune, das Gericht: Bereitet euch darauf vor. 

In den Briefen des Paulus kann man sehen, welche Irritation entsteht, dass dieser Tag noch immer nicht gekommen ist. Mittlerweile sind in Thessalonichi Menschen verstorben, die auf Christus gewartet haben. Was ist mit ihnen, wenn er jetzt kommt? 

Paulus antwortet beinahe technisch. Ein dritter Ausblick aus der Frühen Christenheit (1. Thessalonicher 4, 13.16-18)

„Wir wollen euch aber, Brüder und Schwestern, nicht im Ungewissen lassen über die, die da schlafen, damit ihr nicht traurig seid wie die andern, die keine Hoffnung haben. … 16 Denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Ruf ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel, und die Toten werden in Christus auferstehen zuerst. 17 Danach werden wir, die wir leben und übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken, dem Herrn entgegen in die Luft. Und so werden wir beim Herrn sein allezeit. 

18 So tröstet euch mit diesen Worten untereinander.“

Liebe Gemeinde, 

ist so ein Tag des Herrn für Sie noch vorstellbar? 

Der Himmel tut sich auf, Christus kommt und wir werden auf einer Wolke aus dieser Welt gehoben? 

Ich vermute, dass das wohl eher weniger der Fall ist. Die Frage ist auch, ob wir das überhaupt wollen würden. 

Auch in der alten Christenheit war der Tag des Herrn nicht ausschließlich ein Freudendatum, wie wir erfahren, wenn wir die Antwort des Paulus weiterlesen (1. Thessalonicher 5, 1-3): 

„Von den Zeiten aber und Stunden, Brüder und Schwestern, ist es nicht nötig, euch zu schreiben; 2 denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. 3 Wenn sie sagen: »Friede und Sicherheit«, dann überfällt sie schnell das Verderben wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entrinnen.“

Das letzte Gericht ist nicht nur die Vollendung des Reiches Gottes, sondern eben auch Gericht. Friede und Sicherheit – wer würde sich das nicht wünschen? Anscheinend meint Paulus aber einen trügerischen Frieden und Sicherheit, die sich in Nichts auflösen, sobald sie wie unter einem Brennglas der Wahrheit ins Licht gestellt werden. Dann ist der Friede vielleicht nur mein eigener Vorteil und meine Blindheit und meine Sicherheit nur eine gute Verschanzung. Wenn ich das erkennen muss, dann bricht der Boden unter den Füssen weg. 

Am Tag des Herrn soll ich also all das erkennen: die selbsteingeredeten Sicherheiten, den Frieden, den ich nur habe, weil ich den Unfrieden einfach nicht sehen will. 

Und dieser Tag kommt wie ein Dieb in der Nacht: Gerade dann, wenn ich nicht mit ihm rechne, genau so, dass ich mich gerade nicht auf ihn vorbereiten kann, denn dann würde ich ja nicht in mein Haus der bequemen Weltsicht, in meine Mauern einbrechen lassen, die mich in meiner eigenen Welt Absichern und die anderen anfragenden und anklagenden Ausschließen. 

 Was also können wir tun, damit wir vorbereitet sind auf diesen Tag des Herrn, wenn wir nicht mit ihm rechnen können, so weit, dass wir vielleicht nicht einmal wissen, ob er überhaupt kommt? 

Paulus schreibt weiter (1. Thessalonicher 5, 4-6): 

4 Ihr aber seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme. 5 Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis. 6 So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein. 

Eigentlich ist die Idee des Paulus ganz einfach: Wenn der Dieb in der Nacht überrascht, dann leben wir doch besser am Tage und im Licht, dass wir nicht überrascht werden. 

Ich glaube für uns heute heißt das: Nüchtern und realistisch auf die Welt schauen mit dem Glauben im Herzen als Ansporn und Trost. 

Es gilt, sich nicht vom „kleinen Frieden“ einlullen zu lassen, der uns allein gilt und uns unsere Privilegien lässt, während andere auch unseretwegen in Unfrieden leben. 

Es gilt, die Sicherheiten zu hinterfragen, die uns das Leben so bequem machen, obwohl andere von Sicherheit nur träumen können: Menschen, die nur noch prekär beschäftigt sind und vollkommen unterbezahlt, Menschen, die nicht wissen wohin, wie die Flüchtlinge in Griechenland, Menschen, die als erste vom Klimawandel betroffen sind, Staatenlose, ohne Krankenversicherung oder Rechte vor der Polizei. 

Wie leben wir am Tag und rechnen offen mit dem Tag des Herrn?

Nocheinmal Paulus (1. Thessalonicher 5, 8-11): 

8 Wir aber, die wir Kinder des Tages sind, wollen nüchtern sein, angetan mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil. 9 Denn Gott hat uns nicht bestimmt zum Zorn, sondern dazu, die Seligkeit zu besitzen durch unsern Herrn Jesus Christus, 10 der für uns gestorben ist, damit, ob wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm leben. 11 Darum tröstet euch untereinander und einer erbaue den andern, wie ihr auch tut.

Ohne Zorn in der Welt leben, sogar in Zeiten des Leidens: am Panzer des Glaubens und der Liebe abprallen lassen, was uns gefangen nehmen will unter dem Vorwand, nur für uns selbst Sicherheit und Frieden zu sichern. 

Angetan mit dem Helm der Hoffnung auf Gottes Heil, damit wir nicht glauben, wir könnten ohne Gott und ohne Hoffnung das Szepter selbst in die Hand nehmen und das Reich Gottes, wie wir es uns vorstellen, lieblos durchsetzen. Das kann das Reich Gottes nicht sein, sondern nur unser Reich, so wie es schon zahllose „Reich Gottes Versuche“ in der Geschichte gegeben hat, die alle nur Leid gebracht haben. Wir sollen die Welt mitgestalten im Glauben, in der Liebe und in Hoffnung, und überall da, wo das gelingt, erleben wir Spuren von Gottes Reich, aber Gottes Reich muss Gottes Reich bleiben. 

Amen 

Pfr. Till Jansen