Predigt am Nikolaustag 2020 im Gottesdienst in der Markuskirche

von Pfarrerin Petra Fuhrhans

Herr, gib uns deine Liebe ins Herz,
dass sie wirksam werde in aller Welt. Amen.

„Ich will einen Mantel!“ Der kleine Junge stampfte wütend auf den Boden.

Die Bediensteten erschraken. Ein Jahr lang hatte er kaum geredet und viel geweint, denn seine Eltern waren gestorben; und jetzt das.
„Er muss große Taschen haben!“ Der Junge war es gewohnt Befehle zu geben.
„Aber Du brauchst doch keinen Mantel, widersprach sein Lehrer. „Der Palast ist geheizt, und auch im Innenhof ist es überall warm.“
„Und mach mir einen Sack dazu. So groß, dass ich ihn gerade noch tragen kann!“ Der Lehrer seufzte: „Nikolaus, was willst du denn damit?“
„Ich möchte zu den Kindern in der Stadt gehen und ich möchte ihnen Essen bringen, denn ich habe sie hungern sehen. Ich möchte ihnen Anziehsachen bringen, denn sie haben nichts anzuziehen. Und vielleicht auch noch etwas zum Spielen, denn ich habe viel zu viel!“
„Wenn Dir langweilig ist, dann können wir die Kinder der angesehenen Familien zu uns einladen, und wir können ein Fest feiern. Das wird sicher sehr lustig.“
„Die reichen Kinder“, sagte Nikolaus, „sind langweilig, und sie haben schon alles. Mit den anderen möchte ich teilen!“
Der Hauslehrer gab sich noch nicht geschlagen: „Nikolaus, du bist sehr reich. Die Armen werden dich ausnutzen!“
Aber auch Nikolaus blieb hartnäckig, denn er sah das anders. Außerdem hatte er ein Geheimnis. Manchmal ging er in den Stall, um mit den Tieren zu reden, und sie drängten sich an ihn, als wollten sie ihn trösten.
Gestern war er dabei versehentlich gegen einen Tonkrug gestoßen, in dem viele Schriftrollen steckten. Der Krug zerbrach, die Schriftrollen verteilten sich am glänzenden Boden. Nikolaus ergriff eine der Schriftrollen und begann zu lesen. „Da war ein reicher Mann, der lebte herrlich und in Freuden. Da war aber auch ein Armer, der lag hungernd vor seiner Tür und wollte nur Brosamen die den Reichen vom Tische fielen. Doch diese gönnten die Reichen dem Armen nicht. Als der Arme starb wurde er von den Engeln in den Himmel getragen. Auch der Reiche starb. Doch es kamen keine Engel, ihn zu holen“.

Da hat Nikolaus Angst bekommen und sich aus dem Palast davongeschlichen. Außerhalb des Stadttores fand er die Ärmsten der Stadt, zerlumpt, krank und elend. Als sie Nikolaus erblickten, streckten sie die Hände entgegen. Nikolaus wollte in die Tasche greifen, doch an seinem bestickten Kleide gab es keine Taschen. Flink löste er die seine schwere Goldkette vom Hals, zog sich den Ring vom Finger und gab ihnen den wertvollen Schmuck. Danach schlüpfte Nikolaus aus dem Obergewand, dem bunten Rock, den Sandalen und verschenkte auch noch seine Kleidung. Warm wurde Nikolaus ums Herz. Glücklich ging er nach Hause.

Und jetzt wollte er einen Mantel und war nicht bereit, sich diesen Wunsch wieder ausreden zu lassen. Einen Mantel mit großen Taschen. Die Bediensteten gaben klein bei. Er bekam seinen Mantel und einen Sack dazu.
Vergnügt schlüpfte er hinein und spazierte am Abend durch den Garten. Er füllte seine Taschen mit Nüssen, Äpfel und Mandarinen, Anziehsachen und kleinen Spielzeugen. Erneut schlich er sich aus dem Palast, ging nun zu den armen Kindern und verteilte alles. So beschenkte Nikolaus nun fast jeden Tag die Armen der Stadt, und vorbei war seine lang andauernde Traurigkeit.

Als Nikolaus zwölf Jahre wurde, besuchte er eine Schule, die weit von seinen Palästen entfernt war. Berühmte Lehrer unterrichteten ihn und unterwiesen ihn in der Heiligen Schrift und er setzte das Gelernte um. Wo er Not und Elend sah, gab er mit vollen Händen. Doch er tat das jeweils im Verborgenen. Aber das war ihm noch nicht genug. Später ließ er all sein Geld und Gut an die Armen zu verteilen und zog ins Heilige Land, nach Israel. Nun war er arm und litt selbst große Not. Er wurde verletzt, er hatte kaum was zu essen und trinken. Bei allem Hunger blieb er aber stets fröhlich. Er zog durch das Land und predigte das Wort Gottes und erzählte den Kindern die Geschichten aus der Bibel.
Eines Tages kehrte er in die Heimat zurück. In Myra war einige Zeit zuvor der alte Bischof gestorben. Als man Nikolaus erblickte fragte man, wer er sei. „Ich bin Nikolaus, ein Diener Christi“, antwortete er.
Die Leute führten Nikolaus ins Gotteshaus und ernannten ihn zum Bischof.
Als er wieder ins Freie trat, erblickte Nikolaus seinen alten, grauen Esel vor der Tür angebunden. Von da an wurde der Esel sein treuer Begleiter. Nikolaus sorgte für die Menschen wie ein Hirt für seine Schafe.
In Zeiten der Gefahr predigte er den Menschen an einsamen Orten und stärkte sie im Glauben.

Mit einem Mantel hat alles angefangen. Mit einem Mantel hörte es auch auf.

An seinem Geburtstag kleidete sich Nikolaus jeweils in den kostbaren Bischofsmantel und nahm den Hirtenstab zur Hand. Seinen Esel belud er mit einem schweren Sack, der war mit leckeren Nüssen, Mandarinen, Äpfeln, Honigkuchen, Spielsachen und Büchern befüllt. Nikolaus schritt durch die Straßen und verteilte die Gaben, machte diesen Tag zu einem großen Fest. Das hielt er so bis ins hohe Alter.
Als die Stunde kam, da Gott ihn heimholen wollte, fiel ihm nur Eines schwer: sich von den Kindern, für die er immer gesorgt hatte, zu trennen.
Bischof Nikolaus starb am 6. Dezember 352.
Der Nikolaustag wird noch heute zum Andenken an Bischof Nikolaus gefeiert und kündigt als Vorbote das Weihnachtsfest an.

Zum Nikolaus passt ein kurzer Text aus dem Buch des Propheten Jesaja. Es steht im 61. Kapitel:

Jesaja 61 1+ 2 + 10
Der Geist Gottes des HERRN ist auf mir, weil der HERR mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen; zu verkündigen ein gnädiges Jahr des HERRN und einen Tag der Vergeltung unsres Gottes, zu trösten alle Trauernden, (…)
Ich freue mich im HERRN, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mir die Kleider des Heils angezogen und mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet, wie einen Bräutigam mit priesterlichem Kopfschmuck geziert und wie eine Braut, die in ihrem Geschmeide prangt.

Liebe Gemeinde,

der Mantel der Gerechtigkeit hat große Taschen.

In diese Taschen muss viel hereinpassen, denn ihr Inhalt ist dafür da, die Ungerechtigkeit der Welt auszugleichen.
Leider gibt es viel Ungerechtigkeit, im 4 Jh. und auch bei uns. Noch immer sind die Güter dieser Erde ungerecht verteilt, noch immer gibt es Reiche und Arme und noch immer ist eine große Kluft dazwischen, noch immer hat einer Freunde und Familie und ein anderer ist ganz allein.
Nikolaus hat mit vollen Händen gegeben, und das schon als Kind. Das hat ihn erfüllt und froh gemacht, aber er ist dabei arm geworden, was ihn aber nicht gestört hat. Ich glaube, er hat das auch gar nicht so gesehen, hat sich nicht als arm wahrgenommen, hat einfach weiter verschenkt, was er noch hatte: sein Wissen, seine Fröhlichkeit, alle Erfahrungen, die er mit Gott gemacht hatte, und bei all seinem Geben ist er im Herzen reich geblieben. Eigentlich ist er also gar nicht wirklich arm gewesen … wir rechnen so gerne in Geld und Besitz, als wäre das das Wichtigste, aber ist es das wirklich?
Ich finde ihn wunderbar, den Nikolaus, denn er sieht hin, wo andere wegschauen und er gibt, was die anderen nötig haben; unbeirrbar, ein Leben lang, und er gibt ihnen, was sie brauchen.
Zu sehen, was nottut, ist eine wunderbare Gabe.
Hinschauen und nicht wegschauen, ist unglaublich wichtig.
Handeln und nicht vorübergehen, ist unerlässlich.
Hier können wir von Nikolaus lernen. Lassen Sie uns hinschauen!
Lassen Sie uns helfen mit dem, was die anderen brauchen und mit dem, was wir zu bieten haben, und das ist oft mehr als wir denken:
Wir können uns Zeit nehmen, wir können ins Gespräch kommen oder im Gespräch bleiben, wir können zuhören und Rat geben.
Ich möchte an dieser Stelle werben für die Achtsamkeit. Im Moment geht es vielen Menschen nicht gut. Corona und die Folgen belasten uns sehr, und viele werden immer einsamer und unglücklicher und aggressiv und ungehalten. Natürlich kann man sich jetzt darüber ärgern, aber das hilft nicht weiter.
Aber hinschauen hilft weiter und ergründen, was dem anderen fehlt und ihm geben, was er braucht.
Das wird uns am Ende reich machen, und zwar den Nehmenden ebenso wie den Gebenden.
Am besten fangen wir heute noch damit an und lassen ihn uns von Gott anziehen, den Mantel der Gerechtigkeit.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen