Passionsandacht zum Lesen und Hören

Die Andacht können Sie entweder unten lesen oder hier hören:

Liebe Gemeinde, 

„JEDER FÜR SICH ALLEIN“ – so ist es schon seit längerer Zeit auf unserer Kirchenwand zu lesen. Im ganzen Stadtteil sind solche Sprüche auf Mauern und Altkleidercontainern zu lesen: ARBEIT, KRANKHEIT, TOD oder auch „ARE YOU AFRAID?“.  

In diesen Tagen lese ich diese Sprüche ganz anders als früher: Sie haben eine Dringlichkeit, die ich immer etwas übertrieben fand – trotz der berechtigten Gesellschaftskritik. 

Nun, unter den Bedingungen einer Coronakrise, merke ich, dass man sich unbedingt zu Ihnen verhalten sollte. 

Jeden Mittwoch in der Passionszeit werden Sie daher hier einen Gedanken zu diesen Sprüchen finden – zum Lesen und Hören. 

 „JEDER FÜR SICH ALLEIN“: Der Sprayer hat sich ausgerechnet unsere Kirchenwand für diesen Spruch ausgesucht, ausgerechnet am Gemeindezentrum, wo wir uns als Gemeinde doch darum bemühen, Menschen zusammenzubringen und gemeinsam zu handeln. 

Am Anfang haben wir den Spruch so überklebt, dass herauskam:  

jeDER FÜR sich ALLEin – gemeint war damit natürlich Christus. Die Liebe Gottes und seine Zukunft für uns, die über diese Welt hinausgeht, sie sind in Christus erworben und für alle, die an ihn glauben, gewiß. 

Jeder für sich allein. Heute klingt dieser Spruch noch bedrohlicher. 

Der Coronavirus isoliert uns immer mehr und vereinzelt Menschen. Besonders diejenigen, die alleine leben, haben kaum mehr eine Möglichkeit mit anderen in Kontakt zu treten. 

Auch die Möglichkeiten in unserer Gemeinde, mit anderen zusammen zu kommen, sind zur Zeit ausgesetzt – kein Chor, keine Seniorengymnastik, kein Tanz, kein Gottesdienst, keine Passionsandachten mehr – keine Veranstaltungen mehr, wo man andere trifft, gemeinsam singt und nachdenkt, beim Kirchenkaffee plaudern kann. 

Das ist sehr schmerzlich für uns als Kirchengemeinde, besonders da wir jetzt vielleicht besonders gern mit anderen reden würden, uns austauschen, von Ängsten und Sorgen berichten und einander stärken wollen. 

Wir bemühen uns für andere da zu sein: Am Telefon, per mail und Brief … aber das kann ein echtes Gegenüber schwerlich ersetzen und die Einsamkeit kaum aufbrechen. 

Jeder für sich allein – das meint auch mehr als nur Isolation. 

Angekündigt war für den heutigen Mittwoch ursprünglich mal das Thema: Der (un)gerechte Jesus: Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg.

Denen, die das Gleichnis nicht kennen, sei es kurz nacherzählt: 

Ein Weinbergbesitzer wirbt zu unterschiedlichen Tageszeiten Tagelöhner für die Arbeit im Weinberg an. So kommt es, dass manche den ganzen Tag gearbeitet haben, manche nur einen halben und manch einer auch nur eine Stunde. Mit den ersten Arbeitern hatte der Weinbergbesitzer sich auf einen guten Lohn für den Tag geeinigt – genug, um damit seinen Alltag zu bestreiten. 

Als es nun zur Auszahlung des Lohnes kommt, bekommen alle Arbeiter den gleichen, guten Lohn, auch die, die nur eine Stunde gearbeitet haben. Natürlich beschweren sie diejenigen darüber, die am längsten gearbeitet haben. 

Ist das Ungerecht? Nach unserem Verständnis schon. Denn wer länger arbeitet und damit mehr schafft, der soll auch mehr verdienen. Wo kämen wir sonst hin? Wenn man diese Art des Lohnauszahlens schon vorher weiß, dann würden sich ja alle darum bemühen, nur eine Stunde zu arbeiten. Aber: Bei Gott ist es gerecht, so die Bibel, denn der Weinbergbesitzer hatte doch einen guten Lohn genannt, den er auch ausgezahlt hat. Und alle bekommen so viel, wie sie zum Leben brauchen. Eigentlich geht es allen gut, auch denen, die lange gearbeitet haben. Und wer weiß, warum die anderen nicht vorher anfangen konnten? Es hat uns niemand angestellt, klagen manche im Gleichnis. 

Heute spricht diese Geschichte auf besondere Weise in unsere krisenhafte Gesellschaft hinein. Die wirtschaftlichen Folgen des Virus werden kaum absehbar sein, manchen geht es noch relativ gut, viele aber müssen um ihre Existentgrundlagen fürchten. Die normale Gesetzgebung greift nicht mehr: Wie ist das mit dem Arbeitsrecht für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wenn die Produktion stillstehen muss, wenn man nicht mehr zur Arbeit kommen kann, weil die Kinder betreut und Verwandte versorgt werden müssen, wenn man eben kein Homeoffice machen kann? Unsere Kategorien von Arbeit und Leistung greifen nicht mehr. Obwohl wir ein Sozialsystem in unserem Land haben, für das uns viele bewundern, steht unter den jetzigen Bedingungen zu befürchten, dass viele Menschen wirtschaftlich und gesellschaftlich an den Rand gedrängt werden und in tiefe Not geraten. 

Jetzt sind wir darauf angewiesen, dass wir als ganze Gesellschaft darauf achten, dass alle genug haben.

Manche Berufsgruppen sind besonders stark von der Krise betroffen, manche weniger, manche können sich noch gut versorgen, andere nicht, manche haben noch Rücklagen, die sie eine Zeitlang über Wasser halten, manche aber auch nicht. 

So viel ist in einer solchen Krise nicht machbar mit den Regelungen, die wir in unserer Gesellschaft für den Normalbetrieb aufgestellt haben. 

Nun ist es Zeit für eine andere Gerechtigkeit, die nicht auf Leistung schaut, sondern die darauf achtet, dass alle genug haben. Es ist Zeit für eine Gerechtigkeit, die mit Barmherzigkeit und Nächstenliebe auf die anderen achtet und sich darum bemüht, gemeinsam die Krise zu bewältigen. 

Neben allem Schrecken und aller Verunsicherung wäre das vielleicht etwas, das wir auch für die Zukunft lernen und bewahren können für die Zeit nach der Krise. 

Eben nicht: „Jeder für sich allein“, sondern in der Gerechtigkeit Christi: „Wir füreinander“. 

Diesen Mut und diese Besonnenheit schenke uns der Zukunft verheißende Gott. 

AMEN