Passionsandacht: Arbeit, Krankheit, Tod

Die Andacht können Sie unten lesen oder hier hören:

Arbeit, Krankheit, Tod

Liebe Gemeinde, herzlich willkommen zu einer weiteren Andacht in der Passionszeit. Immer Mittwochs finden Sie hier im Netz Gedanken zu Sprüchen, die jemand schon vor längerer Zeit in unserer Stadt und unserem Stadtteil an Wände und Altkleidercontainer gesprüht hat. Vergangene Woche ging es um den Spruch „Jeder für sich allein“. Heute bedenken wir den Spruch: Arbeit, Krankheit, Tod, der sich beispielsweise in der Hans Böckler Straße auf einer Mauer findet. 

Arbeit, Krankheit, Tod – in diesen Worten steckt nicht gerade viel Lebenslust. Ich habe öfter schon Menschen getroffen, die aus ihrem Leben in einer solch abgekürzten Weise erzählt haben: Ein Leben lang geackert, im Ruhestand erkrankt und nun den Tod vor Augen. War es das? 

Solche Stimmen und Stimmungen hat es schon immer gegeben. Sogar in einem Gebet der Bibel, das weit über 2500 Jahre alt ist, hören wir so etwas, in Psalm 90: Unser Leben währet 70 Jahre, und wenn´s hoch kommt, so sind´s 80 Jahre, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe. 

Arbeit, Krankheit, Tod. Soll es das gewesen sein? Meistens war es das bei weitem nicht, wenn man mal näher nachfragt und hinschaut. Es gab und gibt wichtige Menschen im Leben, die Glück bedeuten. Es gab Reisen und Hobbys, Leidenschaften und Begegnungen, die das Leben reich machen. 

Trotzdem spricht dieser Spruch sicher viele Menschen an: Arbeit, Krankeit, Tod – was köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe gewesen. 

Vielleicht fragen Sie sich, warum ich ausgerechnet in dieser sowieso schon depremierenden Zeit der Coronakrise solche depremierenden Sprüche kommentieren und theologisch bedenken will? 

Der Pessimismus dieses Spruches hat mich schon immer gestört. Früher bin ich an diesem Spruch vorübergegangen und habe ihn kurz bedacht, in alle möglichen Richtungen, aber dann auch wieder aus den Augen verloren. Das Hamsterrad mit den Dingen, die uns so auf Trab halten, drängt sich schnell wieder in den Vordergrund und stellt so grundsätzliche Fragen gerne in den Hintergrund. 

Jetzt in der Krise, soll Zeit sein, diesen Spruch etwas mehr zu bedenken. Warum? Weil die Welt und unser Land gerade gezwungen sind, ziemlich unvorbereitet die Notbremse zu ziehen. Soziale Kontakte sollen vermieden werden. Das bewirkt auch, dass das Arbeitsleben, wie wir es kennen, kaum mehr möglich ist. Wir müssen sehr spontan fast alles umorganisieren oder gezwungenermaßen einfach unterlassen! 

Das führt zu erstaunlichen Effekten, die gar nicht immer nur negativ sein müssen. In den Kindernachrichten Logo gestern abend wurde darüber berichtet, wie gut diese Krise für das Klima ist! In Venedig sieht man wieder Fische im Wasser, weil es plötzlich viel klarer ist. Die Luftverschmutzung nimmt in extremem Umfang ab, weil einfach der Straßenverkehr, Industrieabgase und Luftverkehr enorm reduziert sind. Bei den Kindernachrichten hieß es: „Das Klima atmet momentan auf! Wenn die Krise vorbei ist, wird aber alles schnell wieder so sein wie vorher“.  Ja, vermutlich. Aber wieso eigentlich? 

Wenn wir krank sind, dann sind wir ausgebremst: Fieber macht uns schlapp, Kopfschmerzen sorgen dafür, dass wir langsamer machen und uns zurückziehen, Schmerzen zeigen uns an, dass irgendwo oder ganz konkreter an einem Körperteil etwas nicht stimmt. Darin macht Krankheit großen Sinn, denn wenn wir das alles einfach so ignorieren könnten, dann wären wir in der Tat schnell tot. Wir brauchen Signale und Bremsen, damit wir aufmerksam auf das werden, was der Körper und oftmals auch die Seele braucht. Für das Klima scheint die Coronakrise ähnliches zu bewirken: Dem Klima geht es gut, wenn die Menschheit ausgebremst wird. 

Das sollte uns doch zu denken geben!

Und nun zurück zur Arbeit: Ein Freund leitete mir eine Nachricht weiter, die so lautete: „Wenn die meisten „Systemrelevanten“ zufällig die Schlechtbezahlten sind, stellen sich da nicht ganz zart ein paar Systemfragen?“. Allerdings: wie sieht es gerade aus mit den Krankenschwestern, Altenpflegern, Kindererzieherinnen in der Notbetreuung, Assistenzärzten, Sanitätern, Kassierern und Regalauffüllern im Supermarkt? Sie müssen arbeiten bis an die Grenzen des Möglichen und werden voraussichtlich noch weit über ihre Grenzen hinausgehen. Im Moment erhalten sie einiges an Aufmerksamkeit … wie lange noch? 

Wie sieht es aus mit den vielen Menschen, die jetzt um ihre Existenz fürchten, weil sie nicht arbeiten können, weil sie ein paar Wochen ausser Gefecht gesetzt sind? Man darf ihnen die Wohnung nicht kündigen und sie erhalten staatliche Hilfen: Das ist sehr gut, keine Frage. Aber können wir daraus auch für die Zukunft etwas lernen, etwas grundsätzliches? 

Es gibt Menschen, die schon lange fordern, dass man Arbeit und Lohn weniger miteinander verbunden denken sollte. Nicht Jobs, die man pflichtmäßig und gezwungenermaßen tun muss um zu Überleben sind das Gebot der Stunde, wie noch zu Zeiten der Fabrikarbeiter während der Industrialisierung. Vielmehr soll man Lust zu der Arbeit haben, die man tut, und Wertschätzung für das erhalten, was man macht. Ein anregender Gedanke des arbeitsphilosophen Fritjof Bergmann lautet: Menschen sollen sich in ihrer Arbeit daran orientieren können, „was sie wirklich, wirklich wollen“. 

Dafür braucht man Zeit und ein System, das Diskontinuität aushält, das Kreatives aufnehmen und wertschätzen kann. Wie wäre das, wenn Menschen in ihrer Arbeit zu einem großen Teil das wiederfinden,  was sie wirklich, wirklich wollen? Und wie wäre es, wenn die Menschen, die ganz notwendige Arbeiten für die Gemeinschaft erledigen, auch materiell spüren, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird, selbst, wenn es dafür keine besonderen Qualifikationen braucht? Wie wäre es, wenn wir nicht denken müssen: Jetzt arbeite ich von Montag bis Freitag und am Wochenende darf ich dann endlich leben? 

Wahrscheinlich denken viele gar nicht so extrem und erleben in ihrem Beruf sehr viel erfüllendes. Wenn dem so ist, dann kann man auch die Dinge erledigen, die zwar nicht so große Freude machen, aber zu diesem Beruf irgendwie auch dazugehören. Viele Menschen sind schon mit solchen Überlegungen unterwegs: Mit der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens, das sich nicht mehr an dem Grundsatz orientiert: „Lerne was, dann bist du was“ oder „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. Letzteres übrigens ein biblisches Wort, dem ich einen biblischen Gedanken entgegenstellen möchte: 

Eine der Strafen Gottes nach dem Sündenfalls Evas und Adams lautete: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist“ (Genesis 3,19). Klingt wieder nach: Arbeit, Krankheit, Tod. Das interessante daran ist, dass Adam und Eva natürlich auch vor dem Sündenfall gearbeitet haben und sicherlich sind ihnen die Früchte des Feldes auch nicht so einfach in den Mund gefallen. Das, was als Strafe erlebt wird ist nicht die Arbeit selbst, sondern dass sie so mühselig empfunden wird. Was aber, wenn der Acker eigentlich gar nicht verflucht ist, sondern wie vorher auch Frucht bringt, nur dass die Arbeit plötzlich vom Leben so entfremdet gefühlt wird? Bringen wir doch Arbeit und Leben wieder zusammen! Wir erhalten ja Frucht, aber vielleicht nicht, wie wir immer alle glauben, jedes Jahr mit einer Steigerungsrate von mindestens 3% und das über Jahrzehnte. Wie soll der Acker das schaffen? Und wie sollen wir das schaffen?

Die Coronakrise ist eine Krankheit, die unsere ganze Welt befallen hat. Reagieren wir doch mal so, wie man auf Krankheiten reagiert: Wir nehmen uns Zeit, zu bedenken, was uns und der Welt fehlt. 

Wenn wir damit und auch im  Vertrauen auf Gott mehr Leben gewinnen, dann setzen wir dem Tod, der seinen Schatten so gern auf unser Leben wirft, viel entgegen!