Gottesdienst zur Heiligen Nacht aus der Markuskirche zum Hören

Hier können Sie den Gottesdienst mit Prädikant Lutz Geydan, Pfr. Till Jansen und Oliver Vogeltanz (Orgel) aus der Markuskirche anhören:

Eingangsliturgie
Predigt
Ausgangsliturgie

Die Predigt zu diesem Gottesdienst ist als schriftliche Unterhaltung zwischen Lutz Geydan und Till Jansen entstanden. Ein Kommentar aus der Gemeinde wurde als Beitrag zu dieser Unterhaltung über den Propheten Micha mit hinzu genommen:

Predigt

Micha 5, 1-4 (Till Jansen)

Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. 2 Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Israeliten. 3 Er aber wird auftreten und sie weiden in der Kraft des HERRN und in der Hoheit des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden bis an die Enden der Erde. 4 Und er wird der Friede sein.

Micha – der Prophet hat 700 Jahre vor Jesu Geburt gewirkt, gelebt. Kündigt er schon zu dieser Zeit dem Örtchen Bethlehem die Geburt Jesu an?

Das wäre spannend zu wissen, was Micha heute dazu sagen würde! Damals befanden sich Juda und Jerusalem in einer dunklen Zeit: Das kleine Land war ein Spielball zwischen den Großmächten Ägypten und Assur, bedroht von allen Seiten. Und die eigene Führungsschicht im Land wurde von Micha angeklagt: Ihr nehmt den kleinen Bauern das Land weg, das ihnen zusteht, ihr richtet nicht recht, ihr hört nicht auf Gott und regiert selbstsüchtig.

Der neue und so ganz andere Herrscher soll aus Bethlehem kommen, dieser kleinen Stadt, die auf der einen Seite eben nicht Hauptstadt und „Establishment“ ist und auf der anderen Seite die Geburtsstadt Davids, des großen Königs alter Tage.

Ist uns diese Sehnsucht nicht irgendwie auch vertraut?


Lutz Geydan: 

Das frühe Christentum, wir Christinnen und Christen, lesen die Zeilen von Micha als eine Verheißung auf die Geburt Jesu viele 100 Jahre später. Ich finde, das können wir machen. Prophetie kann sich auch erst über viele Generationen hinweg erschließen, ihren Sinn finden. Mit Blick auf diese alten, wunderbaren und immer noch aktuellen Texte sollten wir aber immer bedenken: sie gehören uns nicht. Ihre Weisheit und Kraft kann nicht ausschließlich vereinnahmt werden.

Was meinst du mit Sehnsucht? Meinst du mit Blick auf David die Sehnsucht nach guten alten Zeiten? Oder die stärker wahrnehmbare Präsenz Gottes? Oder die Sehnsucht, dass sich Gott nicht in den Palästen, sondern in den Hütten zeigt?

Till Jansen: 

Das stimmt wohl: Die Texte sind sehr alt. Sie gehören uns nicht, zumindest nicht so, dass wir sagen könnten, dass sie nur auf eine ganz bestimmte, richtige Weise zu verstehen sind. Aber sie gehören uns doch insofern, als wir sie heute lesen und hören und sie auch heute noch zu uns sprechen. Wenn ich diesen Text lese, dann regen sich in mir genau solche Sehnsüchte, wie du sie benennst und ich vermute, dass es einigen Menschen so geht: Die guten alten Zeiten beispielsweise: Ja wie schön wäre das, wenn es so wäre wie vor Corona! Sich einfach so treffen und nahe sein, ohne Impfstatus abzufragen oder lieber aus Vorsicht sowieso weit weg zu bleiben. Da kommt es wieder, was uns verloren gegangen ist. Und ja: Diese Sehnsucht ist vielleicht eine Illusiion, denn es hat sich etwas verändert und es wird sicherlich anders bleiben! Und eine stärkere Präsenz Gottes? Ja auch das: Ein von Glauben getragenes Leben, das man mit anderen teilen kann, ein Gott, der spürbar Zukunft gibt und Versöhnung, der Mut macht und sich nicht verbirgt: Klar ist das eine Sehnsucht! Gott in den Hütten statt in den Palästen? Das glaube ich, dass wir das jetzt schon haben … nicht nur an Weihnachten. Aber meine Sehnsucht hier: Dass Macht und Reichtum nicht mehr dazu verleite, immer mehr Macht und Reichtum anzuhäufen, in einem Maß, dass vollkommen irreal wird. Einzelne Menschen besitzen so viel wie ein ganzer Staat, 10 Prozent der Menschen besitzen so viel wie die restliche 90 Prozent, manche können sich in ihrer Machtfülle fast alles erlauben, andere sind vollkommen machtlos. Dass das anders wird, weil Menschen Macht und Besitz anders für sich füllen, mit Verantwortung, mit Besonnenheit, mit Bescheidenheit, mit Demut – christlich gesprochen also mit Blick auf Gott – das ist eine Sehnsucht. Anders als Micha können wir das heute nicht mehr nur ausschließlich christlich denken. In einem Staat braucht es dazu eben auch die anderen Religionen und die, die mit Religion nichts am Hut haben. Aber vielleicht kann die Vision des Micha auch sie ansprechen.

Lutz Geydan: 

Bestimmt – die Vision des Micha kann diese Menschen erreichen. Egal welcher Religion sie angehören, oder ob sie überhaupt glauben. Ich glaube, Sehnsucht nach Gerechtigkeit tragen ganz viele Menschen in sich. Mit Sicherheit ganz viele der 90 %, die nicht so viel besitzen wie die Reichen 10%. Und: wie viele dieser 90 % haben viel weniger als wir hier…

Haben sie, die Hungernden und Bedrohten eine Chance? Hören und sehen wir ihre Not? Nehmen wir ihre Sehnsucht wahr?

Advent ist – trotz aller Kommerzialisierung und Verbürgerlichung – immer noch eine besondere Zeit. Wir treffen uns mit der Familie, suchen liebevolle Gemeinsamkeit. Wenn keine Pandemie ist – und das wird irgendwann so sein – besuchen wir uns, fahren durch ganz Deutschland, um die Familie zu sehen, verbringen Zeit miteinander. Wir bringen dann immer auch unsere Vergangenheit mit, schwelgen in Erinnerungen, und vielleicht, vielleicht sind wir auch neugieriger als sonst auf die Zukunft.

Was aber ist das, mit dem Advent, der Sehnsucht und der Geburt Jesu?

Natürlich ist diese Zeit auch eine Tradition, ein regelmäßiges, schönes Fest.

Aber die Botschaft, der Sinn, die Texte und schließlich die Geburt Jesu. Das alles ist tiefer und grundlegender als eine schöne Tradition.

Der Advent ruft uns dazu auf, unserer Sehnsucht auf den Grund zu gehen. Wir können uns fragen, ob wir unserer Sehnsucht genug Raum geben. Ob wir uns von ihr leiten lassen, oder ob wir ausschließlich Sicherheiten und Regelmäßigkeiten folgen.

Der verstorbene österreichische Psychotherapeut und Begründer der Logotherapie Viktor Frankl hat gesagt:

„Frage nicht, was Du vom Leben willst, sondern was das Leben von Dir will.“ Diese Frage soll uns ermutigen, Verantwortung zu übernehmen und unserer Sehnsucht Raum zu geben.

Eben dieser Sehnsucht, die im Advent aufkommt und die uns immer weiter nach Sinn und Erfüllung suchen lässt. Sie gibt uns Kraft für uns und die Verbindung mit anderen.

Dafür steht auch der, der im kleinen Bethlehem geboren ist und uns Hoffnung auf Frieden gibt.

Geht er mit uns? Auch nach dem Advent?

Till Jansen: 

Manchmal fühlt es sich an, als ob der Satz des Micha im Vordergrund steht:  Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Die schmerzvolle Seite der Sehnsucht ist dann die bestimmende: Noch ist es nicht vollendet, noch ist Gottes Friede nicht vollkommen da, noch fehlt uns so viel: Menschlichkeit, Solidarität, Ganzheit und in Pandemiezeiten vielleicht auch Gesundheit und Freiheit von Ängsten und Zerstrittenheit. Aber heute Nacht hören wir: Und er wird der Friede sein.

So wie die Engel den Hirten singen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Diese Nacht ist das Versprechen Gottes: Das Versprechen des Friedens, das Erfüllen dieser Sehnsucht und das nicht erst irgendwann, sondern jetzt, in der Geburt dieses Kindes, das heranwächst und die Liebe Gottes verkündigt und lebt, das heilt und auf das Reich Gottes vorausweist, indem es das Reich Gottes ins Werk setzt. Dieses Kind kommt als Gottes Sohn in die Welt, um zu zeigen, dass Gott bei uns ist, dass er mitleidet und zugleich überwindet: Tod und Angst sind dahin, die Zukunft ist so geöffnet und frei, dass sie auch die Gegenwart öffnet und befreit. Nach dem Advent, dem Nachspüren unserer Sehnsüchte kommt diese heilige Nacht, in der wir dies alles hören: Gott kommt und ist schon da, er befreit und erfüllt, er vollendet und befriedet.

Für mich ist das Krafttanken und Hoffnung schöpfen, selbst wenn ich mit offenen Augen ganz realistisch auf unsere Welt blicke. Weihnachten macht mir Mut, trotz allem mit Gott zu rechnen! Vielleicht ist das schon immer eine Botschaft gewesen, die für die Hütten und nicht für die Paläste gemacht ist, für die belasteten … und hier denke ich, dass es nicht allein um Vermögen geht, sondern ums Mensch sein, mit allen Schwächen und Leiden.

Wenn ich diese hoffnungsvolle Nacht feiere, dann gewinne ich Kraft für das, was das Leben und ich ergänze „mein Glaube an Gott“ von mir will.

Lutz Geydan: 

Der Prophet Micha

Das Buch, das nach ihm benannt ist, wirkt auch heute noch. Sicher können sich einige noch an den Ruf „Schwerter zu Pflugscharen“ erinnern. Das stand in den 80zigern bei vielen Demonstrationen auf Plakaten, wurde in der Tagesschau erwähnt und wurde eine starke Botschaft. Diese Zeilen entstammen auch aus dem Micha-Buch. Diese Botschaft zeigt: Prophetie kann sich immer wieder neu erschließen.

Im Neuen Testament wird Micha u.a. bei Matthäus zitiert. Der Evangelist erzählt, dass König Herodes erfährt, dass da der neue König der Juden geborene wurde. In Sorge um seine Macht fragt er seine Schriftgelehrten, wo der denn geboren wurde. Und die antworteten ihm: In Bethlehem, denn so steht geschrieben durch den Propheten Micha: Und du, Bethlehem …

Till Jansen: 

Micha 5,i 1-4k (Till)

Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. 2 Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Israeliten. 3 Er aber wird auftreten und sie weiden in der Kraft des HERRN und in der Hoheit des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden bis an die Enden der Erde. 4 Und er wird der Friede sein.

Jemand aus der Gemeinde schrieb dazu:

Eine hoffnungsvolle Perspektive aus „dieser Zeit Leiden“, dass sie Geburtsschmerzen sind, aus denen neues Leben kommen wird.