Gottesdienst am Sonntag Exaudi, 24. Mai 2020

mit Pfr. Till Jansen und Juergen Bonn, Orgel.

Den Gottesdienst können Sie unten lesen oder hier (ab 12.00 Uhr) hören:

Eingangsliturgie
Predigt
Ausgangsliturgie

Die Liturgie zum Nachlesen finden Sie hier:

Predigt am Sonntag Exaudi: Jeremia 31, 31-34 

Was für ein Gebet und was für ein Wunsch für die Gemeinde in Ephesus! Norbert Lange hat es für uns aus dem Brief an die Epheser verlesen: Ich bete zu Gott, dass er euch mit seiner ganzen Kraft im inneren so stärkt, dass der Glaube an Christus in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe tief verwurzelt und fest gegründet seid. 

Das klingt nach einem beeindruckenden Menschen: Innerlich gefestigt, auf beiden Füssen stehend und verwurzelt, zugewandt und weise, unbeirrbar und zugleich liebevoll. 

Und dieser Mensch trifft auf andere ebenso von Gott gestärkte Menschen. Und die alle zusammen sind fähig, Breite, Länge, Höhe und Tiefe zu ermessen und die Liebe Gottes zu erkennen, die alles Wissen übersteigt. 

Und diese Gruppe beeindruckender Menschen trifft sich zum Gottesdienst um Gott zu ehren, weil sie erkennen, dass die Möglichkeiten und die Weisheit Gottes die ihre unermesslich übersteigen. 

Ich hoffe, sie haben alle ein Bild von heldenhaft glaubenden Menschen vor Augen: Eine fantastische Gemeinde, vollkommen in der Liebe, der Gemeinschaft und der Gottesverehrung. 

So stellt sich der Verfasser des Epheserbriefes die ideale Gemeinde vor. 

Und dann habe ich mir die Gemeinde in Ephesus vorgestellt, wie sie wohl wirklich aussah. Ich vermute, dass es auch dort Menschen gab, die mit ihrem Glauben gerungen haben, Menschen, die mit großer Skepsis erst einmal geschaut haben, was die Christen da so machen und sagen, Menschen, die von ihrem Banknachbarn in der Kirche dachten, dass dieser noch nicht so recht viel vom Glauben verstanden habe. Es gab Menschen, die Christen waren und vorsichtshalber auch den römischen Göttern ihren Tribut zollten. Menschen, die nur da waren, weil der Ehepartner oder Dienstherr eben Christ war. 

Dies sind alles jedenfalls Punkte, über die Paulus schon mal klagt und zürnt. 

Und doch spricht der Brief die Gemeinde so an, als sei die ideale Gemeinde schon da: 

So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, 20 erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, 21 auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. 

Ein seltsames Nebeneinander: Die ideale Gemeinschaft ist schon da, für die aber erst noch in der Fürbitte gebetet werden muss, dass sie auch wirklich sei. 

In dieser Spannung steht in der biblischen Erzählung diese besondere Zeit zwischen Himmelfahrt und Ostern. Jesus hat sich seinen Jüngern gezeigt. Sie haben ihn erkannt und wissen, dass er lebt. Aber der Geist, der die Gemeinde in alle Wahrheit und Erkenntnis führen soll, ist noch nicht da. 

Wie alles in den heiligen Schriften ist das natürlich nicht zeitlich zu verstehen, so als ob dann zu Pfingsten der Geist kommt und damit die Gemeinde über allen Zweifel erhaben wäre. Es ist ein Spannungsverhältnis in dem wir als Gemeinde immer stehen. 

Das beschreibt auch der alttestamentliche Text, der uns heute als Predigttext gegeben ist. Ein Text aus dem Jeremiabuch: 

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, 32 nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, mein Bund, den sie gebrochen haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; 33 sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. 34 Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

Gottes Gesetz in den Herzen. Niemand belehrt den anderen. Davon sind wir immer noch weit entfernt, solange man auf konfessionelle Spaltungen und Konflikte in Gemeinden schaut. Auch Petra Fuhrhans und ich sind uns nicht in allen Punkten theologisch vollkommen einig, auch wenn wir uns sehr gut verstehen und uns mögen und auch gern zusammenarbeiten. Aber schlichte Eindeutigkeiten gibt es da eben nicht. Und auch in der Gemeinde gibt es sehr unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Meinungen und Glaubenseinstellungen. Die einen eher fromm, die anderen eher pragmatisch christlich, andere schauen gelegentlich rein in die Gemeinde, andere sind hier so richtig zu Hause, die einen wollen eine politische Gemeinde, die anderen eine kontemplative. Keine Einheitsgemeinde, in der alle gleich denken und glauben. Ich sage dazu jetzt schon mal: Zum Glück. 

Was sagen uns aber diese Texte aus dem Epheserbrief und aus Jeremia über die Gemeinde? Wie gehen wir mit der Spannung um, dass wir Hausgenossen Gottes sind und zugleich der Fürbitte bedürfen, dass wir auch wirklich zu Gottes Gemeinde gehören und so leben? 

Dazu drei Gedanken, die ich mit Ihnen und euch teilen möchte: 

1. „Gottes Handeln kommt zuerst“ und 2. „Glauben ist kein Zuschauersport“ und 3. „Die Einheit der Gemeinde besteht in ihrer Vielfalt und im Gotteslob.“  

Der erste Gedanke: „Gottes Handeln kommt zuerst.“ Jeremia beschreibt den neuen Bund Gottes mit den Menschen: „Ich will einen neuen Bund schließen mit den Menschen und mein Gesetz in ihr Herz geben. Ich will ihrer Sünden nicht mehr gedenken und ihre Missetat vergeben.“ 

Gott handelt. Gott schließt einen Bund mit den Menschen. Gott vergibt, ohne dass der Mensch einen Beitrag dazu leisten könnte. Wir bleiben beim Bild der Hausgenossen und Mitbewohner aus dem Epheserbrief, um das ein wenig auszuführen. Ein Hauseigentümer setzt einen Vertrag ohne den Mieter auf und bestimmt: Dies ist dein Haus, dass dir zum Leben zur Verfügung steht. Gott bleibt der Eigentümer dieses Hauses und wir die Besitzer, obwohl wir dazu nichts beigetragen haben. Wir können es auch nicht selber bauen, denn dann wäre es nicht Gottes Haus, sondern allein das unsere. Im Gegenteil: Alles was wir getan haben, um uns selbst daran zu hindern, dieses Haus in Anspruch zu nehmen, wurde von Gott aus dem Weg geräumt: Vergebung, Versöhnung, Einladung und Werben, das alles hat Gott übernommen. 

Aber auch, wenn wir das Haus besitzen, können wir damit nicht tun, was wir wollen. Wir müssen uns an die Hausordnung, an das Gesetz halten, denn nur so gelingt das Zusammenleben im Haus. Aber auch hierfür hat Gott gesorgt: Er gibt das Gesetz in die Herzen. 

Und damit kommen wir zum 2. Gedanken: „Glaube ist kein Zuschauersport.“ Diesen Gedanken habe ich ehrlich gesagt aus Mary Poppins entlehnt. Mary Poppins sagt den Kindern: Aufräumen ist kein Zuschauersport. Vom Zuschauen allein wird das Zimmer nicht entrümpelt. So ist es auch mit dem Glauben. 

Dass das Gesetz ins Herz gegeben wird ist kein operativer Eingriff eines Gesetzimplantates, kein Herzschrittmacher, der einfach so läuft. 

Im Bild des Hauses Gottes betreten wir als Eingeladene den Raum Gottes: Dort wartet das ganze Leben auf uns und alle tiefen Fragen des Lebens und Sterbens. Wir lesen, hören und bedenken die Erfahrungen mit Gott und dem Leben, die Menschen lange vor uns aufgeschrieben haben. Wir lesen von Geboten Gottes, von Gebeten und Liedern, Verheißungen, Geschichten und bringen auch unsere eigenen Erfahrungen und Fragen mit. Was will Gott von uns? Wie soll ich mein Leben im Angesicht Gottes führen? Wie erfahre ich Vergebung? Wie kann ich anderen vergeben? Was erwarte ich nach dem Tod? Was erwarte ich vom Leben? 

Ich glaube nicht, dass man dieses Haus Gottes betreten kann und antworten ernten kann, wenn man die Fragen dazu nie gestellt hat. Wir müssen uns hineinbegeben in diese Fragen, wir müssen uns auf Antworten einlassen, die nicht die unseren sind und schon uralt, wir müssen unsere Antworten danebenstellen und befragen lassen. Wir müssen im Gebet nach Antworten ringen, manchmal sogar um die Fragen. Texte und Lieder wachsen uns ans Herz – learning by heart sagen die Engländer zum Auswendiglernen. Texte greifen uns an und stellen uns in Frage. Aber: wir stellen diese Fragen und ringen mit dem Glauben bereits in Gottes Haus. Wir tun dies nicht, um erst hineinzukommen. 

So zuletzt der dritte Gedanke: „Die Einheit der Gemeinde besteht in ihrer Vielfalt und im Gotteslob.“ Die Breite, Länge, Höhe und Breite ergründen wir erst, wenn wir erkennen, dass nicht einer allein die Liebe Christi erkennen kann. Dazu braucht es mindestens zwei oder drei und ich behaupte, am besten zwei oder drei, die sich nicht einmal einig sind. Gottes Wahrheit ist sicher eine, aber sie ist viel zu komplex und umfassend, als dass einer allein sie auf einen Satz bringen könnte.

Wir sind Menschen und sind als Menschen, auch wenn wir bewundernswert viel erreichen können, in unserem Suchen auch beschränkt. So seltsam es klingen mag: Gottes Wahrheit zeigt sich da, wo Menschen mit unterschiedlichen Antworten im gemeinsamen Gottesdienst feiern und trotz aller Unterschiedlichkeit im Gotteslob und in der Liebe miteinander verbunden sind. Und dazu brauchen wir in der Tat die Fürbitte, denn das ist das Werk des Heiligen Geistes. Das ist Pfingsten: Die eine Sprache, die alle unterschiedlichen Sprachen verstehen lässt, die eine Antwort, die unterschiedliche Antworten nebeneinander gelten lässt oder im besten Fall miteinander versöhnt. 

So sind wir in unserer Suche bereits eine ideale Gemeinde und sind es noch nicht. Auch hier in der Südstadt. 

Um es ungefähr mit Paulus zu sagen: Ich danke Gott allezeit für euch, die ihr mitsucht und fragt, die ihr mitfeiert und liebt, die ihr unterschiedlich seid und doch eins im Heiligen Geist. 

Amen