Gottesdienst am 5. Sonntag nach Trinitatis

12. Juli 2020, Markuskirche Kassel, Pfr. Till Jansen, Kantor Juergen Bonn (Orgel)

Hier können Sie den Gottesdienst anhören (ab etwa 12.00 Uhr)

Eingangsliturgie
Predigt und Boellmann: Heures Mystiques
Ausgangsliturgie

Die Liturgie zum Nachlesen finden Sie hier:

Hier können Sie die Predigt lesen:

Simon ist ein seltsamer Mensch. Er ist sehr einfach gestrickt, er hat nicht sonderlich viel Bildung, aber manchmal spricht er unglaublich tiefe Erkenntnisse aus oder stellt genau die richtigen Fragen. 

Er lebt sein Leben in einem steten Rhythmus, wie die Wellen des Sees, auf dem er jede Nacht arbeitet: Rausfahren, Netze auswerfen, Netze einholen, Fische verkaufen, Netze waschen und flicken. Tagein, tagaus. 

Und dann schmeißt er plötzlich alles über den Haufen und beginnt vollkommen neu, ganz von vorne. 

Bei der Arbeit kann er gut zupacken und ist auch sonst ein temperamentvoller Mensch. Wenn ihn erstmal etwas begeistert, ist er in seinem Eifer oft voreilig. 

Sein Bruder Andreas es nicht immer ganz leicht mit ihm, einfach, weil Andreas der stillere von beiden ist. 

Auf der anderen Seite können die erstaunlichsten Sachen, richtige Wunder, an Simon vorbeiziehen, ohne dass sie ihn sonderlich beeindrucken. Er versteht halt nicht viel von solchen Sachen und hat nicht viel von der Welt gesehen. 

Simon: Ein seltsamer Mensch, widersprüchlich, mit vielen Begabungen, mit vielen Schwächen – im Grunde aber damit so seltsam, wie wir alle. 

Eines Tages kam ein Wanderprediger in sein kleines Fischerstädtchen am See Genezareth. Gerüchte über ihn waren schon länger im Umlauf und sind auch Simon schon zu Ohren gekommen. In Nazareth wollte man ihn den Abhang runterstoßen, so sehr hat er die Leute geärgert und in Aufruhr gebracht. In anderen Städten soll er Menschen geheilt haben. 

Nun kommt dieser Jesus also nach Kapernaum und predigt in der Synagoge – ob Simon es gehört hat, wissen wir nicht – und, er findet in Simons Haus eine Bleibe für die Nacht.  

Eigentlich ungünstig, denn die Schwiegermutter des Simon liegt schwerkrank im Bett. Die kleine Hausgesellschaft bittet für sie und Jesus heilt sie. Er legt die Hand auf, das Fieber weicht, sie kann aufstehen und … sie dient ihnen: Sie bereitet Essen zu, macht das Bett fertig. 

Aus heutiger Sicht wirft das kein besonders gutes Licht auf die Männergesellschaft dieses Hauses und die Heilungsmotivation Jesu. 

Aber diese Heilung hat zur Folge, dass am Abend alle Menschen aus Kapernaum ihre Kranken bringen: Versehrte, von Dämonen Besessene. Im Haus ist viel Betrieb, Jesus heilt, böse Geister fahren unter Geschrei aus: „Du bist der Sohn Gottes!“, Tumult an allen Ecken und Enden. Und Simon? So ganz kann das Ganze nicht an ihm vorübergegangen sein. Und trotzdem erfahren wir von ihm keinerlei Reaktion. Simon bricht zum Fischen auf, denn seine Arbeit beginnt. 

Von Jesus heisst es, dass er am nächsten Tag aufbrechen will in andere Städte, aber kaum fortgelassen wird, weil ihn die Menge der Menschen so bedrängt. Und Simon? Er war in der Nacht rausgefahren, hat Netze ausgeworfen, Netze eingeholt, Fische verkauft, und jetzt heißt es Netze waschen und flicken. So wie eh und je, tagein, tagaus.

Wir hören wie die Geschichte weitergeht, so wie Lukas es in seinem Evangelium erzählt:  

Lukas 5, 1-11:

1 Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, zu hören das Wort Gottes, da stand Jesus am See Genezareth. 2 Und er sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. 3 Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus. 4 Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! 5 Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen. 6 Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. 7 Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und ihnen ziehen helfen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken. 8 Da Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. 9 Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die mit ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, 10 ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. 11 Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.

Liebe Gemeinde, 

dieser Simon ist doch ein erstaunlicher Mensch. Er hört viel von Jesus, Gerüchte und Gerede. Er sieht und erlebt ihn selbst. Jesus heilt seine Schwiegermutter durch reine Handauflegung, er heilt viele Menschen in seinem Haus, er wird Zeuge, wie die Dämonen ausfahren und Jesus als Gottes Sohn bezeugen. 

Und er geht erstmal raus zum See und zur Arbeit. Was auch sonst. Die Arbeit muss getan werden. 

Er erlebt wie Jesus umringt wird von vielen Menschen, aber er wäscht seine Netze aus. Diese Arbeit muss ja auch getan werden. Er stellt Jesus dann doch sein Bott zur Verfügung, ob gerne oder zähneknirschend kann ich nicht erraten. 

Irgendwie ist Simon ersteinmal nur beobachtend dabei. Er hört und sieht, bleibt auf Distanz, er hilft, er nimmt Jesus in sein Haus auf, aber lässt sich in seinem Alltag nicht beeinträchtigen. 

Dann kommt dieser Schreiner namens Jesus auf die absurde Idee, auf den See zu fahren und die Netze auszuwerfen. Ein Schreiner! 

„Auf dein Wort hin will ich es tun“. 

Und dann: Fische in Fülle und Überfluss. So viele, dass sie fast sanken.

Die Szene lese ich immer so, als würden die Fischer sich freuen über diesen Fang und die Fülle. In meiner Fantasie jubeln sie und packen freudig zu. 

Aber Petrus reagiert so anders: „Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.“

Warum reagiert Simon so? 

Wie schade eigentlich. Simon wird beschenkt, er erlebt Fülle im Überfluss, den Traum jeden Fischers gegen alle Wahrscheinlichkeit. Es gibt keinen einzigen Hinweis, dass dieser Jesus ihm etwas böses angedeihen lassen möchte – und doch will er ihn erschrocken wegschicken. 

Simon wird beschenkt und belohnt und er denkt doch nur an seine Sündhaftigkeit. 

Wieso eigentlich? 

Ganz unvertraut ist uns das nicht. Wer ein unerwartet großes Geschenkt bekommt, sagt schon manches mal: Das habe ich doch gar nicht verdient! In einer Radiosendung kurz vor Weihnachten – ja, das ist schon länger her – habe ich ein Interview gehört mit einer Wissenschaftlerin, die sich mit dem Schenken auseinandergesetzt hat. Warum beschenken wir uns eigentlich? Und wann ist ein Geschenk eigentlich ein Geschenk? Auf die Frage nach dem „Warum“ sagte sie: Um Wertschätzung auszudrücken und soziale Verhältnisse. Und auf die Frage, ab wann ein Geschenk ein Geschenk ist, sagte sie erstaunlicherweise: Ein Geschenk ist bei uns selten ein Geschenk, denn ein Geschenk erwartet in keiner Weise eine Gegenleistung – das ist bei den meisten Geschenken jedoch der Fall. 

Auch das kennen wir: Eine Einladung ruft die Notwendigkeit eines Geschenkes hervor, das wiederum Orientierungspunkt für ein entsprechendes Gegengeschenk bei potentieller Gegeneinladung ist. 

Wer bekommt was bei 4 Kindern, dass es gerecht bleibt und niemand neidisch wird? 

Geschenke sind auch – und nicht so selten, wie wir meinen – Instrumente sozialen Handels. 

Zurück zu Simon: Die Masse an Fisch lässt ihn unmittelbar fragen: Womit habe ich das verdient? Zusammen mit allem, was er an Jesus gesehen und mit ihm erlebt hat, seine Macht und Vollmacht, fragt er sich nach dem Verhältnis zwischen ihm selbst und diesem Gottessohn Jesus. 

Er kann die geschenkte Fülle nicht annehmen, ohne nach seiner Berechtigung zu fragen. 

Zumal dieser ganze Aufenthalt Jesu allein darauf hinauszulaufen scheint, dass er, Simon, Jesu Botschaft hört, obwohl er doch weiterarbeitet und seinen Alltag gar nicht verlässt. Diese ganzen Heilung und Predigten treffen Simon nicht – aber auf dem See, da wo er seinen Lebensmittelpunkt hat und zu Hause ist, da, wo er sich auskennt, da trifft es ihn. 

Alles predigen und heilen läuft auf diesen Punkt zu: Simon erlebt die geschenkte Fülle Gottes. 

Wir Protestanten gelten ja als Menschen, die zusammen mit der geschenkten Fülle Gottes sofort auch an die eigene Sünde erinnern, und das hat ja auch sein gewisses Recht, aber heute will ich dabei bleiben: Es ist eigentlich schade, dass Simon so ängstlich und erschrocken reagiert. Er führt uns vor Augen, wie wir heute oft immer noch reagieren. 

Mit diesen ganzen Überlegungen und Eindrücken dieser Geschichte höre ich auch die Antwort Jesu: „Fürchte dich nicht“ –  nämlich positiv ausgedrückt: „Freu dich über dieses Geschenk. Frage einmal nicht danach, ob du es verdient hast: Nimm es, genieß es, lebe aus der Fülle Gottes und habe deine Freude daran.“ 

Kritische Zuhörer haben gehört und wissen, dass Jesus auch sagt: „Von nun an wirst du Menschen fangen.“

Ist das die Gegenleistung, die erwartet wird? 

Ich meine: Nein. Simon wird das tun, er lässt alles liegen und geht mit Jesus mit. Nicht weil er es ihm schuldig ist, sondern weil er selbst bei ihm bleiben will. 

Diese Geschichte lässt mich freudig danach fragen, was mir nicht alles geschenkt wurde von diesem Gott, dass ich trotz allem Alltag und aller Skepsis bei ihm bleibe. 

Geschenke des Lebens rufe ich mir vor Augen, dankbar und frage nicht, womit ich sie verdient habe, sondern freue mich, dass ich aus ihnen leben darf. AMEN

Was ist Ihnen geschenkt, dass sie daraus leben?