Gottesdienst am 3. Sonntag nach Trinitatis

28. Juni 2020 / Markuskirche Kassel / Pfr. Till Jansen / Orgel: Oliver Vogeltanz

Die Liturgie zum Gottesdienst können Sie hier lesen:

Die Predigt können Sie unten lesen oder hier (ab 12.00 Uhr) hören:

Eingangsliturgie
Predigt
Ausgangsliturgie

Predigt zum Gottesdienst am 3. Sonntag nach Trinitatis

28. Juni 2020 10:00 Uhr / Markuskirche Kassel / Pfr. Dr. Till Jansen

Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit, der deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein Adler. 

Liebe Gemeinde, 

diese Psalmverse sind unheimlich kraftvolle Worte, voller Zuversicht und Vertrauen. Sie dücken poetisch aus, was die Grundlage unseres Glaubens ist: Gott ist gnädig. Er vergibt, er wird uns in eine heilvolle Zukunft führen. Mit allem, was uns belastet, mit jeder Schuld können wir uns an ihn wenden. 

Da will man doch gleich einstimmen in dieses Gotteslob, oder? 

Klare Antwort meinerseits: Jein. 

Ich erinnere mich an Situationen in meinem Leben, bei denen ich das gerne tat. Nach Erlebnissen der Bewahrung, nach Erlebnissen von Glück und Leichtigkeit, manchmal auch in schwieriger Zeit, wenn ich trotz aller Widerstände vertrauensvoll und zuversichtlich bleiben konnte, Gott zugewandt und mit einem Gefühl von Geborgenheit getragen war. 

Aber da gab und gibt es und wird es sicher auch die anderen Momente geben, bei denen das nicht gelingt. 

In einem Gottesdienst in Amsterdam, in dem das Gotteslob 

pausenlos gesungen wurde, immer eindringlicher und irgendwie auch aufdringlich, spürte ich, wie sich alles in mir sperrte. Und das lag nicht nur daran, dass die Musik nicht die meine war. Ich erinnere mich an Tage, wo mir das Gotteslob kaum über die Lippen kam. Und natürlich bin ich damit nicht allein. Immer wieder kommen Menschen auf mich zu und erzählen, dass sie so gerne glauben wollen, aber es ihnen nicht gelingt: Weil sie in ihrem Leben Dinge erleben müssen, die wie eine Abrissbirne das Bild des gnädigen Gottes treffen. Gibt es diese gute Zukunft oder läuft es eben so wie es läuft und wenn am Ende die Katastrophe kommt, dann kommt sie eben ohne weiteres und ohne Heil und Versöhnung – sie kommt so wie sie kommt. Ganz nüchtern und klar und unvermeidlich, ohne dass man etwas gutes in sie hineinlesen könnte. 

An solchen Tagen kommt das Gottesbild, das wir haben, unser Glaube an den gnädigen und zukunftsreichen Gott, ins Wanken und Rutschen. 

Uns fallen sicher alle eine Menge Menschen ein, die unseren Gott gar nicht zu brauchen scheinen und denken manchmal: Vielleicht haben sie recht? 

Oder die Gnade unserer Gottes verdunkelt sich und wir erleben vielmehr seinen Zorn, unseren Zorn, unser Ringen im Glauben: Wo ist seine Gnade? Er ist doch der gnädige Gott, so bekennen wir es und so ist es uns gesagt: Warum erleben wir es so anders? Wir suchen den uns vertrauten Gott und ringen mit einem so anderen Gott.  

Mit all diesen Gedanken, mit meinen Erinnerungen und ihren eigenen Erinnerungen an die unterschiedlichsten Erlebnisse mit unserem Gott, hören wir auf den Predigttext aus dem Prophetenbuch des Micha: 

„Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die geblieben sind als Rest seines Erbteils; der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er hat Gefallen an Gnade! 19 Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen. 20 Du wirst Jakob die Treue halten und Abraham Gnade erweisen, wie du unsern Vätern vorzeiten geschworen hast.“

Liebe Gemeinde, 

auch das: ein Gotteslob, aber eines mit Brüchen und Rissen. Bei genauerem Hinhören durchzieht den Text ein anderer Klang, als allein der des Vertrauens.  

Micha hält an Gott fest und an seiner Verheißung für sein Volk, aber er ist sich auch bewußt, dass er zu einem Rest gehört, der geblieben ist. Wie viele sind nicht bei Gott geblieben? Wie viele vertrauen ihm nicht mehr … und ihnen ergeht es doch gar nicht so anders als Micha, manchmal sogar besser? 

Für Micha liegt die Schuld an dem Elend, das er in seiner Zeit erlebt, gerade darin: An diesem Abwenden der Vielen und an dem Ungenügen der Wenigen, die geblieben sind. 

Schuld also an allen Ecken und Enden und ein Gott, der sich noch verbirgt, statt jetzt zu retten. 

Micha stimmt ein Gotteslob an, aber es ist vielleicht weniger ein Gotteslob des Dankes, als vielmehr eines, das Gott herausfordert: Wo ist so ein Gott wie Du, der die Sünde vergibt. Man könnte auch sagen: Wir kennen dich doch eigentlich als den vergebenden Gott, der sich uns zuwendet. Im Vergleich zu den anderen Göttern ragst du doch eigentlich heraus als der Gnädige! 

Aber im Moment ist noch nichts gut. Im Moment ringt Micha trotz des Gotteslobes noch spürbar mit der Schuld und dem Verlassensein, mit der Verborgenheit seines Gottes. 

Gott hat gefallen an Gnade, aber im Augenblick erleben wir seinen Zorn – auch wenn er daran nicht ewig festhält. 

Und selbst die Vergebung klingt nicht besonders friedevoll: 

er wird unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen. 

Das klingt nicht nach einem „sanften in die Arme schließen“, sondern eher wie ein gewaltsamer, kraftvoller Akt. Die Sünden werden unter die Füsse getreten, mit Gewalt besiegt. 

Und am Ende dieses Gotteslobes erinnert Micha an Jakob und Abraham, an die Treue, die Gott Jakob erwiesen hat und wieder soll und die Gnade, die er Abraham hat zuteil werden lassen und seinen Nachkommen verheißen hat. 

Auch das sind keine Geschichten, die allein von Bewahrung und Sicherheit durch Gott reden. 

Es gibt dort auch zahlreiche Herausforderungen durch Gott, es wird auch das Ringen mit Gott erzählt. 

Jakobs Kampf am Jabbok ist besonders anschaulich. Die Geschichte eines Kampfes noch vor Sonnenaufgang, wo das Licht noch auf sich warten lässt, ein Kampf, den Jakob ohne seine Familie austrägt, ganz allein, ein Kampf mit einem Unbekannten, der sich erst am Ende als Gott herausstellt. Und besonders bemerkenswert: Jakob entlässt Gott nicht aus diesem Kampf, er hält ihn im Kampf gefangen: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Am Ende des Kampfes, am Beginn des neuen Tages, geht Jakob humpelnd weiter, aber als Gesegneter. 

Und Abraham? Wieviel Zumutungen werden ihm auferlegt? Die Familie soll er verlassen, in die Fremde gehen, er braucht unendliche Geduld bis zur Vollendung seiner Verheißung, ja sogar seinen Sohn soll er opfern, was er am Ende nicht muss, aber das weiß er zu Beginn noch nicht. 

Streit mit Gott, Ringen mit ihm, gibt es zur Genüge bis dahin, dass Sara, seine Frau, Gott auslacht, als er die Verheißung von Nachkommenschaft wiederholt. 

Abraham gilt als der vorbildlich Glaubende – und unglaublich ist in der Tat sein Vertrauen in Gott – aber ohne Reibung und Ringen ging es auch bei ihm nicht ab. 

Was heißt das für uns? 

Mein Misstrauen bei allzu sehr wiederholtem und allzu lautem Gotteslob bekommt in diesen Geschichten eine Stimme. Nein, es ist nicht immer alles gut. In diesen Zeiten müssen wir das auch sagen. Es ist nicht alles gut und wir dürfen und müssen klagen und müssen und dürfen sagen, dass wir unseren Gott nicht verstehen. 

Wir reden in dieser Zeit von der Sehnsucht nach Nähe, nach Unbefangenheit, nach Vertrauen, wir reden von Ängsten und Enttäuschungen. Wir reden von Sorgen in Familien, die ihre Unterstützung nicht so bekommen können, wie sie es bräuchten. Wir beklagen, wie viele Menschen in Altenheimen vereinsamen, wie viele Menschen in Behindertenwohnheimen darunter leiden, dass sie so wenig besucht werden können, wir beklagen, dass das Misstrauen wächst und der Argwohn gegen Menschen, dass wir verlernen, nah miteinander zu sein und unkörperlich werden. All das bringen wir vor Gott, und im besten Fall lassen wir ihn in unserem Ringen nicht los und fordern ein: Wir lassen dich nicht, du segnest uns denn. 

Die Menschen, die nach dem gnädigen Gott suchen, weil sie soviel anderes erleben, stehen in ihrem Ringen mit Gott nicht allein. Sie reihen sich ein in das Fragen und Suchen unserer Vorfahren. 

Das Ringen mit Gott in seiner Unfassbarkeit und in unserem Unvermögen ihn und sein Handeln zu verstehen ist dabei oft verbunden gewesen mit dem Gefühl der Schuld. So auch bei Micha. Die Schuld schiebt sich zwischen uns und unser Vertrauen zu Gott. 

Und wenn wir merken, dass wir das Vertrauen verlieren, dann rechnen wir uns das wiederum als Schuld an. Im Glauben soll ich doch vertrauen und ich spüre, dass ich das nicht kann. Und dann kommt schnell der Gedanke von Gottes Zorn ins Spiel, so wie wir das ebenfalls bei Micha gehört haben. 

In unserem Ringen mit Gott hat sich über die Jahrhunderte unser Erleben von Gottes Zorn vielleicht nicht sehr verändert. Unerklärliche Schicksalsschläge, grundloses Leiden, hier suchen wir Ursachen und oft suchen wir die Schuld bei uns. Aber unser Nachdenken über Gottes Gnade und unsere Schuld hat sich verändert. Unvermutet einbrechendem Leid legen wir nicht Gottes Zorn zugrunde, sondern wissen, dass es zum Leben gehört. Das Coronavirus ist keineswegs Ausdruck von Gottes Zorn, es ist trotz seiner gewaltigen Auswirkungen schlicht ein Virus. Ursachen gibt es viele, die man wissenschaftlich benennen kann und Schuld wird gern gesucht und von manchen auch gefunden, meist unberechtigt. Krankheit, und ist sie noch so dramatisch, ist Teil unseres Lebens bis hin zum Sterben. Die Frage nach der Schuld hilft bei Corona wenig weiter – auch wenn wir bedenken müssen, was wir im Umgang mit solchen Katastrophen lernen und besser machen können. 

Und auch unsere Schuld ist nicht unmittelbar mit Ideen von Gottes Zorn zu verbinden. 

Gott hat gefallen an Gnade. Er ist gnädig und er hat auch gefallen daran, wenn wir gnädig sind zu uns selbst. Wenn wir leben und lieben, so wie wir ja leben und lieben sollen, dann werden wir unweigerlich auch schuldig werden. Das ist unvermeidbar, denn weder wir noch unsere Welt sind vollkommen. Gottes Gnade ist nicht die Negativfolie, die uns die Schuld zur Last legt bis hin zur Lähmung und Handlungsunfähigkeit, sondern Gottes Gnade ist eine entgegenkommenden Gnade, die uns befreit, dass uns Schuld gerade nicht lähmt. 

Im Gegenteil: Wir müssen Schuld riskieren, um wirklich leben zu können. Das ist schwierig genug und es nicht verwunderlich, dass wir in all dem immer wieder mit Gott ringen. 

Gott schenke uns die Kraft und das Vertrauen, dass wir durch seine Gnade frei werden zum Leben, trotz und mit aller Schuld, trotz und mit allem Leiden, die es geben wird. Auch wenn jetzt nicht alles gut ist, gebe er uns Zutrauen und Hoffnung für das Leben, so, dass wir ihn loben können. 

Das können wir einfordern: Wir lassen dich nicht, du segnest uns denn. 

AMEN