Gedenkgottesdienst für die Opfer des Nationalsozialismus zum Lesen und Hören mit Liedern von Veronika Blum

Hier können Sie den Gottedienst vom 30. Januar 2022 mit Pfr. Till Jansen, Veronika Blum (Lieder) und Kantor Juergen Bonn (Orgel) anhören:

Eingangsliturgie mit Lied: Aschrottbrunnen
Lied: Altes Polizeipräsidium und Predigt
Ausgangsliturgie

Hier können Sie die Predigt von Pfr. Till Jansen nachlesen:  

Liebe Gemeinde, 

für mich war das Alte Polizeipräsidium im Königstor immer ein Gebäude mit einer besonderen Atmosphäre: Selbst als ich noch nicht wusste, welche Geschichte mit diesen Mauern verbunden war. 

Das Gebäude steht eigentümlich vereinzelt als mächtiger Bau im Königstor. Schwer einsehbar verwinkelt mit riesigem Hof, mit Kontrollspiegeln an den Ausfahrten, mit verwaisten Fahnenstangen an der ehemals prächtigen Front, die Farben braun wie seine Geschichte, die Anmutung feindlich, klotzig. Es wirkt als sei es sich selbst überlassen, stehengelassen, damit es vergessen wird, und doch so riesig, dass man nicht an ihm vorbei kommt. Die mhk nutzt die Räume als Lager, unten noch die Zellen, die niemand nutzen mag ausser vielleicht für bedrückende Filme, zu kostspielig die Renovierung, ein echter Gedenkort soll es anscheinend auch nicht werden, für Investoren uninteressant. Ausgerechnet die Friedrich Engels Straße führt direkt auf den Eingangsbereich dieses Gebäudes zu. 

In der Seitenstraße, etwas beiseite steht eine Gedenktafel aus dem Jahr 1992, wenige Jahre bevor die Polizei dieses Gebäude verlassen hat. Auf den unteren rechten Rand hat jemand in unbeholfener Krazerei das Wort Penis geschrieben. 

Darüber ist als Inschrift zu lesen:  

Zur Mahnung an den Terror 1933-1945

In diesem Gebäude befand sich von 1933 bis 1938 der Sitz der Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Kassel. 

Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) war eine der Machtsäulen des nationalsozialistischen Staates. Die Kasseler Gestapo verhaftete, verhörte, mißhandelte Tausende von Gegnern, Andersdenkenden und ausländischen Zwangsarbeitern und brachte viele von ihnen in Zuchthäuser und Konzentrationslager. 

Im März 1945 ermordeten ihre Kommandos in Kassel und Guxhagen mehr als einhundertzwanzig Gefangene. 

Hüte dich nur und bewahre deine Seele gut, dass du nicht vergisst, was deine Augen gesehen haben, und dass es nicht aus deinem Herzen kommt dein ganzes Leben lang.

Wer dieses Gebäude betrachtet und sei es nur von außen, wird hineingezogen in die Spannung von hilflosem Vergessen und vergessen Wollen und übermächtiger Anfrage: Weißt du, was hier geschah? 

„Geh und hör und frag und sieh. Betritt und fühl, als wärst du sie!“

Geh nicht in diesen Keller. Wenn Du gehst, kehrst du anders zurück. 

Fragen fallen uns auf den Kopf, 

Augen greifen nach uns, 

Antworten starren uns an. 

Noch immer scheuen wir uns, dem Leid nachzuspüren. 

Im Gegenteil: Die Stimmen werden immer lauter, einen Schlussstrich zu ziehen, bei gleichzeitig erstarkendem Rechtsradikalismus, bei sich immer weiter organisierenden Reichsbürgern, die verbal und militant aufrüsten. 

Dieses Gebäude steht wie eine Wunde in unserer Stadt, ein Symbol für die schreckenverbreitende Herrschaft eines Regimes, das durch Angstund Hass regierte, ein Regime, das die einen verblendete und in seinen Dienst rief, die anderen vertrieb und ermordete. 

Das Alte Polizeipräsidium ist ein Täterort, der in unserer Stadt die auf der Wannseekonferenz so unmenschlich erdachten Vernichtungsstrategien umsetzte. 

Wer am Anfang noch meinte, sich enthalten zu können, fernzubleiben und neutral, musste irgendwann feststellen, dass es nur noch ein für oder gegen gab. 

Jede Diskussion, jede Vermittlung, jedes Verstehen wurde in den Kellern der Gestapo und in den Diensträumen zum Schweigen gebracht. Im Konzentrationslager endgültig. 

Mit Sorge erleben wir, dass die Spaltungen auch unserer Gesellschaft wieder wachsen, dass Gewalt und zum Schweigen bringen wieder erdacht werden, dass mit der Angst anderer gespielt wird. 

Vor kurzem wurde in der Tagesschau berichtet, dass Querdenker und Reichsbürger Drohbriefe an Kitas und Schulen verschickt haben. 

Und auch hier auf dem Brückner Kühner Platz standen Demonstrierende gegen Impfungen und gegen die Coronapolitik vor der Auefeldschule mit Plakaten und haben Leute angesprochen. Den Kindern und Lehrer*innen in der Schule hat das Sorgen bereitet und es hat echte Ängste ausgelöst, bei den Kinder allzumal, weil sie die Nervosität der Erwachsenen spüren. 

Auch ich habe diese Demonstranten gesehen und habe sie nicht angesprochen und ich will ihnen gestehen, dass mich das beschämt. 

Sind wir da angekommen, dass man Kindern und Lehrern Angst macht – Grundschülerinnen und schülern?

Nein, mit der Herrschaft der Gestapo und des Nationalsozialismus ist das nicht vergleichbar, aber:  

Wenn wir uns als Gesellschaft nicht erinnern, was mit Menschen geschieht, die mit Angst sich voneinander entfernen, ohne Möglichkeit mehr zu reden, ohne Zuzuhören, ohne Einfühlung, ohne Respekt, ohne Liebe, dann wird es ein finsteres Zusammenleben, nein, ein Gegeneinanderleben sein. 

Das Alte Gebot gilt nach wie vor und es muss uns immer neu gesagt werden: Wer sagt, er sei im Licht, und hasst seinen Bruder, der ist noch in der Finsternis. 10 Wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Licht, und durch ihn kommt niemand zu Fall. 

 … Heute wollen wir die Schwester und auch alle, die sich als non binär oder Queer bezeichnen dazunehmen. 

Das Alte Polizeipräsidium mahnt uns an, aus der Geschichte zu lernen und der Intoleranz, dem Verbreiten von Angst und Lüge zu widerstehen. 

Lasst uns also wagen, hinzusehen, zu fragen und zu reden, uns anfragen zu lassen, dass wir unsere Seele gut bewahren, dass wir aus unserem Herzen nicht gehen lassen, was unsere Augen sahen und sehen und was uns das Wort Gottes als Grund und Ziel des Lebens aufträgt: Liebe Gott und das gute Leben, liebe deinen Nächsten wie dich selbst. 

Amen